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A. Insiderwissen: Das richtige und falsche Lacoste
B. Die Dinge und deren Merkmale
C. Die Dinge und deren Bedeutungen
A. Insiderwissen: Das richtige und falsche Lacoste
„Ich
weiß, dass Du Ahnung hast. Denn, was ich ausdrücke, haben wir gemeinsam
gelernt. Wir sind die Experten. Du kriegst mich dennoch nicht (www.Ein-Philosoph-steckt-in-mir.de
). Du weißt nicht, dass ich ein Geheimnis trage - wenn Du es wüsstest wäre
ich schlimm dran und schuldig, mich zu rechtfertigen (www.ich-bin-ambivalent.de
). Weswegen ich an welchen Orten mich rechtfertigen muss, weiß ich ganz
genau, manchmal in die eine und manchmal in die andere Richtung, das hängt
immer von den anderen und meinen 56 kbpm schnellen Stimmungswechseln ab (www.ich-bin-ein-Star.de,
www.manager-magazin.de, www.taz.de).
Ich
weiß, dass ich immer echt und ich sein will. Daher trage ich mein gefälschtes
T-Shirt zwischen den Blöcken und Zellen, in denen die Abkratzer wohnen; und
denke, dass ich mit meinem Zeichen nicht abgestochen werde (www.GuidoWesterwelle.de)
. Wo anders, ich will zum Film, out of the blue, trage ich mein ungefälschtes
T-Shirt, auf dass ich mich mit den anderen erkennen lassen kann; oben in der
Loge gibt’s die besten Plätze ( www.PC-Shopping.de).
Abbildung 1: Falsch oder echt?: Lacoste T-Shirt blau / Lacoste Pullover blau , 2000, Quelle: eigene Fotos
So
spar ich Geld (www.Billiger-telefonieren.de),
denn Lacoste ist Qualität (das echte und das gefälschte), das Zeug hält
ewig (www.quasiLand’sEnd.de),
und sowohl die bei Breuninger haben ihre Jobs (www.DresdnerBankDieBeraterbank.de),
wie auch der Typ im Fimse® - Laden seinen Umsatz braucht (www.EU-Importfahrzeuge.de
und www.fabrikverkauf.de ).
Man
muss mit der Zeit gehen: ich unterstütze also heute die Wirtschaft (www.OlafHenkelDugeilerOnkel.at),
kaufe öko- und auch sonst ganz –logisch ein (www.ombudsman.nor
) und wenn’s drauf ankommt schreie ich Solidarnosz® für die Wale dieser
Meere (www.Qualität-aus-deutschen-Landen.de)
und esse beim Japaner meine Suppe nicht (www.NenehCherry.com).
Bei den Grünen® gibt’s dafür übrigens eine Gratis – CD mit Walgesang
drauf (www.greenpeace.de).
Abbildung
2: Echt oder falsch?: Lacoste T-Shirt blau / Lacoste Pullover blau , 2000
Guter
Tipp, I know. Unter Verbrauchern sollte man zusammenhalten. Mache würden mich
als clever bezeichnen; ich hab dafür was besseres: rapid eye movement® (www.REM.com
). War nicht meine Idee, was inzwischen leider wohl jeder weiß. Macht nichts,
ich nenne das ganze Remix (www.Cocktails.de
).
Ich
werde jetzt gleich was unternehmen fahren, denn ich habe mein Motto: Life’s
what you make it (www.talktalk.com und www.Die-Neue-C-Klasse.de).
Nur noch vorher was Neues (www.Er-möchte-echt-sein)
anziehen.
Zum
Abschluss nochmals mein Tipp: Lacoste ist echt und richtig sicher (www.Der-EURO-kommt.de
und www.Norbert-Blüm.de ), der
Stoff ist unzerstörbar, da kannst du dich drauf verlassen. Wie gesagt: immer
aufpassen, ob du gerade das richtige oder falsche T-Shirt trägst....kann
ansonsten erst recht echt gefährlich werden.
Und
sowieso: Traue nie einem falschen Freund (www.caro-diario.it).
Das mit Dir muss außer Dir ja keiner wissen (www.Matthias-Rust.de).
Du darfst nie den Respekt vor Dir selbst verlieren (www.Ich-bin-doch-nicht-blöd.de),
sonst verlierst Du die wesentlichen Dinge aus den Augen (www.britney.de,
www.playstation.de, www.lebensversicherung.de,
www.unfallversicherung.de, www.berufsunfähigkeitsversicherung.de,
www.haftpflichtversicherung.de,
www.rentenversicherung.de, www.kritische-aktionäre.de).
In diesem Sinne machen wir uns weiter vor, als ob nichts gewesen wäre.
Gez. www.anomy.de
Abbildung
3: Alles echt, alles falsch: Lacoste T-Shirts / Lacoste Pullover, 2000
B. Die Dinge und deren Merkmale
Sein Aussehen und dessen Umgebung an einer bestimmten ästhetischen Richtung zu orientieren, unterscheidet den Wissenden vom Barbar.
Der rohe Tölpel integriert die bei seinem Überfall auf der Handelsstrasse gemachte Beute nahtlos in seinen persönlichen Fundus. So schmückt er sich in der Folge mit einem roten Mantel aus Samt und benutzt die Perücke des niedergemetzelten Grafen nun als Wintermütze. Das erbeutete Material gehört nun ihm, die Dinge haben ihren Besitzer gewechselt; die Kleider schenken dem Barbaren Wärme und erfüllen mehr oder weniger zweckmäßig die in sie gesetzten Erwartungen. Der Barbar wundert sich kurz über die Würde, die er plötzlich in sich fühlt; ihm ist klar, dass dies an den neuen Kleidern liegen muss. Aber schließlich entscheidet er, dass diese Kleider – wie im übrigen auch alle anderen – dazu da sind, vor der Kälte zu schützen; und sowieso findet er, dass durch die Kleider „das Dasein kein wirklich anderes ist“ (Fichte 1963, S. 43).
Der Wissende macht seinem Namen alle Ehre: er findet zufällig auf seiner Kutschfahrt die vom Barbaren übriggelassenen Waren auf der Handelstrasse, darunter silberne Becher, dicke Bücher und goldene Vasen, die dem Barbar zu schwer und unnütz erschienen. Er erkennt die edlen Merkmale der Waren und dekodiert sie als einen Bestand an teuren, adelsständischen Dekadenzen, die er als aufgeklärter Bildungsbürger aus moralischen Gründen nicht einmal anfassen darf. Den Kommissar über die beraubte Blutleiche zu benachrichtigen wäre das allerhöchste, schließlich freut sich der Bürger mit Namen Vorname, Nachname über jeden Baron von und Graf zu, der die Gesellschaft nicht mehr mit seiner Biologie umgibt.
Der Wissende steckt dennoch in der Bredouille: Im eigentlichen findet er die adeligen Artikel nämlich anmutend, und er denkt, dass entweder a) diese sehr schön seine städtische Wohnung schmücken könnten oder aber b) durch deren komplette Veräußerung sein Traum von einem Herrenhaus – er kennt einen Landsitz eines verstorbenen Adeligen, welches zum Verkauf steht – in greifbare Nähe rücken könnte. Beide Lösungen a) und b) scheinen unmöglich zu verwirklichen, denn die bürgerlichen Bekannten würden die herrschaftlichen Waren als ebensolche entziffern wie auch der Devotionalienkaufmann die Warenmerkmale als unbürgerlich und suspekt - also als gestohlene Waren - dekodieren würde.
Der wissende Bürger steht in einem Konflikt mit seinem Standesbewusstsein und seiner Moral. Schließlich entscheidet er sich, auf allen (An-) Stand zu pfeifen und mit den gestohlenen Waren zum Zigeunermarkt zu fahren, in der Hoffnung, dass dort die gleichgültigen Gauner und Barbaren seine Waren zu schätzen wissen werden. Denn die Merkmale interessieren dort nicht. Das sich aus dem Verkauf ergebende Kapital wird sein schlechtes Gewissen letzten Endes reinwaschen, denn, so weiß er, das Geld ist gleichgültig gegenüber den Schichten. Er wird es besitzen und vermehren und es werden sich Möglichkeiten eröffnen, so aufzusteigen, wie er es verdient.
Der Barbar hat kein Gewissen, er unterliegt keinem Befehl. Er nimmt die Dinge, wie sie sind. Seine dreckigen Stiefel kombiniert er mit einem roten Samtrock, und er ist zufrieden über die ihm gegebene Wärme.
Der Wissende vergleicht sich mit den anderen. Er beobachtet sowohl, wie er auch begreift, dass er von seinen Klassenangehörigen beobachtet wird. Er ist standhaft und moralisch; das erkennt jeder an seinen Merkmalen, die er zu pflegen versteht. Mit verbissenem Einsatz will er in Zukunft den Frust bekämpfen, denn er sieht ein, dass sich seine Merkmale nie ändern werden.
C. Die Dinge und deren Bedeutungen
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„Was sehe ich denn aber außer Hüten und Kleidern, unter denen auch Automaten stecken könnten? Ich urteile aber, es sind Menschen.“ (Descartes 1641) |
Beim Besuch des Kammerkonzerts im kleinen Nebenraum einer städtischen Sport- und Kulturhalle steht das technische Können des vierköpfigen Orchesters und der seit Jahrhunderten vorgegebene Aufbau der Musikstücke unter der Beobachtung des auf die korrekte Form der Darbietung ausgerichteten Publikums. Werden die Kammermusiker in der Lage sein, die musikalische Grammatik in einer akzeptablen Weise zu reproduzieren? Sind unter den Musikern gar Talente, die das Niveau eines Jugend musiziert Adoleszenten erreichen? Werden Geige, Bratsche und Cello in der richtigen Fasson gestimmt sein, auf dass es die meisterlichen Kompositionen in würdigem Einklang mit den Erwartungen des kritischen Auditoriums aufnehmen können?
Der natürliche Klang der Instrumente, die handwerklich akzeptable Wiedergabe und die Akustik des Raumes sind die Maßstäbe, an denen sich die Musiker messen lassen, und die Zuhörer richten werden. Dabei tritt die Erscheinung der Beteiligten selbst gänzlich in den Hintergrund; in klassischer Zurückhaltung werden die Protagonisten in schwarzen Kostümen auftreten.
In der Hoffung, die puren und statischen Merkmale zum wiederholtem Male reproduziert zu bekommen, ähneln die intellektuellen Leistungen der Zuhörer eher den mathematischen Gesetzen als kreativen Improvisationen: Ganz und gar ohne Verstärker zelebrieren sich die Virtuosen durch ihre Sätze und ihre Akte. Im wallenden Haar der Cellistin spiegelt sich der Dauercheck durch das auf Merkmale besessene Publikum. Am Ende bleibt dem die Gewissheit, einige Merkmale in Perfektion und andere in mediokrer Einfältigkeit erlebt zu haben. Nicht einmal Berge könnten das Wissen des Expertenpublikums um die Gültigkeit der Merkmale versetzen. Unverstärkt zeigen sich die Dinge, wie sie sind: „Geschenke einer vorgegebenen göttlichen Ordnung“ (Poschardt 1998, S. 43), die weder unterstützt noch repräsentiert werden müssen. Britney Spears hätte hier größte Interpretationsschwierigkeiten.
Die asiatische Geigering Vanessa Mae ebenso, obwohl deren musikalische Fähigkeiten auf weniger re-affirmativen Prothesen als bei der Spears beruhen. Das macht aber alles gar nichts, denn sowohl Spears als auch Mae verdanken ihre spielballhafte Existenz einem willkürlich interpretierbaren Bedeutungs-kosmos, einem „Phänomen, das nicht die Spur eines Geheimnisses in sich birgt“ (Gächter 2000, S. 1).
Das Dekodieren des Publikums beschränkt sich im Pop auf die verstärkten Äußerlichkeiten und Äußerungen der Superstars: Wenn eine so dünne Stimme wie die von Britney Spears, wenn ein so krächzendes Gezirpe wie das von Vanessa Mae, durch die elektrische Verstärkung ihrer Instrumente eine so beeindruckende physische Gewalt bekommen, dann muss dahinter ein politischer Wille, eine Willensäußerung stecken, dann muss das ganze Gefiedel und Gedudel für etwas stehen. Aber wer oder was soll hier repräsentiert werden?
Mae ist gleichzeitig und nie Furie, Verführerin im Seidenkokon, Kitsch, Asiens kläglicher Versuch der perfekten Kopie des Westens, klebriger Lollipop und Mozart-Maschine – alle Zuschreibungen treffen auf sie zu, keine trifft jemals den Kern. Der Spielraum bleibt offen, „aus Merkmalen werden Zeichen“ (Poschardt 1998, S. 45).
Gänzlich zur Oberfläche ästhetisiert, geht es hier um die Verkörperung von sich möglichst widersprechenden Bedeutungen in einem nicht aufzulösenden Guss, dessen gleichzeitige Entstehung, Verwertung und Verwerfung einem Model gleicht, das sich in der einstündigen Modenschau möglichst in 25 verschiedene Lebensmodelle schlüpft.
Im Gegensatz zu dem Kammerorchester als einer „Kultur überschaubarer Einheiten“ (Diederichsen 1996b, S. 102) und Merkmalen, wird die ordnungsbedürftige aber nie zu ordnende Symbolik der Pop- oder Massenkultur nur dann zum ordnenden Element, wenn ihr selbst der Platz einer Ordnungsinstanz verliehen wird. Faszination und Kontrolle verstärken sich im Popkontext zu göttlichen Phänomenen, nur dass im Unterschied zum bisherigen ewigen Gott 1) die Menschen hier in einem demokratischen Akt der Befreiung sich ihren Gott selbst gewählt haben und 2) dieser Superstar ohne Probleme vom einen auf den anderen Tag abgewählt und ersetzt werden kann. Wenn die Dinge zu Zeichen werden, kann Gott in Rente gehen. Alles steht zur Diskussion. Diskussionen entsprechen Gesprächen – und aus „Gesprächen entstehen Märkte“ (Searls / Weinberger 2000, S. 24). „Einmal in Kommunikation verstrickt, kommt man nie wieder ins Paradies der einfachen Seelen zurück“ (Luhmann 1987, S. 207). Die Negation von Wissen, die Abwesenheit von Eliten und Hierarchien, die Ablehnung von klaren Zuschreibungen, die völlige Auflösung in der Oberfläche: das sind die Funktionen des Pop-Stars. Dessen innere Werte sind im Zweifelsfall genauso wenig von Interesse wie der Nutzen von Mode oder die schädlichen Inhaltsstoffe in Coca-Cola. Oder hat schon einmal jemand nach den wahren Gefühlen und Problemen von Vanessa Mae gefragt?
Die Kontinuität des Kammerorchesters bietet durch seine Verbindlichkeit keinerlei disruptive Merkmale. Es handelt sich vielmehr um eine Privatparty der Elite, die ihre identische Reproduktion feiert. In diesem Milieu gibt es weder Potenzial für Träume noch für Masken oder neue Märkte. Die Pop-Stars sind dagegen hin- und hergerissen von der Diskontinuität ihrer eigenen Oberfläche und werden in ihrer ganzen Unverbindlichkeit zu dem spannungsgeladenen Surrogat für die Demokratie, zu dem „Abfall für alle“ (Goetz 1999, Titel), welcher genau die Hoffnungen schürt und genau die Träume darstellt, denen die Marktwirtschaft mit ihrem Erfindungsreichtum entsprechen muss. Wenn es für alle möglichen Erfolgsstorys, wenn es für alle erdenklichen Zeichenkombinationen genau die entsprechenden Waren gibt – und diese auch noch auf irgendwelchen Plätzen aufeinandertreffen - dann kann man sowohl im Pop als auch im Kapitalismus von einer vollen Auslastung sprechen.
Abbildung
4: ohne Autor: Liebe, Freiheit und Toleranz, Werbung für Virgin Cola Quelle: GDI Impuls, # 2, 2000, S. 17
Bestehen letzten Endes alle Waren und Handlungen aus Symbolen und Repräsentationsaktionen, ästhetisiert sich der Kontrollmechanismus aus Kultur, Pop, Ökonomie, Konsum, Gemeinschaft und Individuum zur Re-Repräsentation der stilisierten Bereiche, die sich dann immer wieder checken, neu erfinden, stilisieren, checken, neu erfinden, stilisieren, etc... . Das System ist erst dann wieder in einer Art sozialen Ordnung, wenn das Verhältnis unter den Bereichen geklärt ist, und die Dinge trotzdem florieren, ähnlich einem sich immer drehenden Pferdekarussell, wo der Abstand zwischen den Teilnehmern aber immer derselbe bleibt.
Abbildung 5: ohne Autor: Liebe, Freiheit und Toleranz, Werbung für Virgin Cola Quelle: GDI Impuls, # 2, 2000, S. 17