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II. Die
Repräsentation kultureller Zeichen durch kapitalisierende Kompetenzen - Zur Entwicklung von
Trends und Economies
B.
Vorsprung durch Zeichen: represent, represent
c.
Politik und globale Entwicklungen
d.
Das Individuum als Künstler und Konsument
C.
Trendforschung goes
out of trend
1.
The Kitchens of distinction – die Waschküche der Trendforschung
2.
Oh Lord, can you get me a trend?
3.
Authentische Inauthentizität, inauthentische
Authentizität, inauthentische Inauthentizität
4.
Der ökonomische Nutzenbegriff
1.
Everybody needs somebody: Ästhetische Differenz als Vermittler
individueller Zeichen
2.
Jugend- und Pop-Kultur als unendliche Ressourcen der Ästhetik unter
kapitalistischen Bedingungen
3.
Express your Alltag: Homogenität der Differenz
4.
Ein Hauch von Freiheit: Eigentum und Copyright
1.
Zukunft für alle Demokraten
F.
Die Glocke über dem Käse: Brot und Spiele
1.
Die Politik und ihre Superstars
3.
Kunst und die Ideologie der Medien
2.
Produkt und Umfeld: Eine Betrachtung der Dinge aus der Sicht der
Marktwirtschaft
H.
Zukunftsmodell: Ich bin kein Unterschied
“They can have any color they want as long as it’s black.” (Henry Ford)
Sobald wir die freie Auswahl haben, beginnen wir auf mysteriöse Weise in unserem Leben prickelnde Chancen zu sehen, die zuvor selbst in unseren kühnsten Träumen nicht zum Vorschein kommen mochten. Der demokratische Sieg der Auswahl über den Warendiktator ermöglichte uns auf dem roten Teppich der Differenz zu flanieren und im Kosmos der Stars und Kometen sogar ein paar Sternschnuppen zu erhaschen. Und wenn es dazu nicht reichte, gab es immer noch das eine oder andere Schnäppchen zu machen. Inzwischen nimmt der Vergleich der Dinge so sehr die Gedanken in Anspruch, dass wir nur noch darin unsere in der Verfassung verankerte persönliche Freiheit vermuten.
Abbildung
6: Jenny Holzer: From
the Survival Series, 1987
Quelle:
Honnef 1994, S. 183
Dem Fundus an verbindenden und verbindlichen Zeichen, quasi dem Genpool unserer neuen Verfassung, verdanken wir die Tatsache, dass wir in der globalen Gemeinschaft leben können, obwohl wir physisch allein sind. Jedoch unterliegen, trotz Globalität und Gleichartigkeit, die Kenntnis und die Dekodierung der Zeichen hochindividuellen Prozessen – geprägt durch Geschichte, Erfahrung, Geographie, Geschlecht, etc.. Die Kapitalisierung der divenhaften Zeichen stößt demnach durch ihre Sperrigkeit auf Probleme, deren Ergründung jenseits ökonomischer Argumentationen liegen muss.
Dem Kapitalismus selbst droht nach dem Sieg über seine Konkurrenzsysteme sowie im Kontext von Illusion und Überfluss die Gefahr der eigenen Überflüssigkeit. Wenn die Kultur die Entwicklung der Ästhetik bestimmt und das starre materielle Kapital der Ökonomie im Zusammenspiel mit den individuell zeitspezifischen Bedürfnissen der Menschen permanent ausgetrickst wird, kommt der Punkt, an dem der Konsum von materiellem Besitz gegenüber dem schnellen Ideenverkehr nicht mehr nachkommt. Dem Warenverkehr bleibt dann nur noch die Rolle einer archaisch anmutenden Transaktion.
Abbildung
7: Pink Floyd: Wish you
were here, LP-Cover, 1975
Quelle:
http://www.amazon.de
Diese Arbeit wird anhand von Beispielen aufzeigen, dass es sich bei der Marken- und Marktwirtschaft um einen starren Auswuchs an Selbstgefälligkeit handelt. |
Dem
Überfluss an integren und bürgerlichen Zeichen mit
widerspenstigen und oppositionellen Maßnahmen zu entgegnen, ist
traditionellerweise die Aufgabe der Subkulturen und Avantgarden. Diese vergnügen
sich damit, noch geheime Sphären des Zeichenkosmos zu entdecken und sie mit
den eigenen Gesinnungen zu besetzen.
In
dem permanenten Experimentieren mit Sprache, Musik, Farben, Bildern und Formen
ist für die Gegenkulturen das Scheitern als Resultat dem Erfolg gleichwertig,
ja das Scheitern eröffnet sogar neue Möglichkeiten, mit denen von neuem
experimentiert werden kann. Was dieses Experimentieren angeht, eignet sich
insbesondere die Kunst als immaterielle und somit als roh formulierte und
unkontrollierte Spielwiese für neue anregende subversive Gedanken.
Diese Arbeit wird die Ressourcen der „coolen“ Zeichen ermitteln und versuchen eine Anleitung für dauerhaften Ideenvorsprung zu geben.
Bisher
bemühte sich die Ökonomie ausschließlich darum, möglichst erfolgreich die coolen,
also die explizit erfolgreichen Zeichen aus den Subkulturen zu kooptieren. Der
Prozess des Scheiterns jedoch spielt im ökonomischen Universum keine Rolle;
dass sie ihre eigenen Schwächen erkennt und zu erkennen gibt, war der
Marktwirtschaft bisher leider nicht anzumerken. Hierarchien, Automatismen und
der kapitale Erfolgsdruck werden auch in Zukunft den Kapitalismus nicht zum
Scheitern bringen.
Diese Arbeit wird aufzeigen, dass es sich beim Kapitalismus um eine unreflektiert agierende Wucherung handelt, die sich durch den Mangel an einer langfristigen Perspektive, langsam selbst aufzulösen scheint.
Abbildung
8: Ashley Bickerton:
Gequältes Selbstporträt, 1988
Quelle: Honnef 1994, S. 7
Geplagt von der eigenen Ideenlosigkeit versucht das Konglomerat aus Wirtschaft, Werbung, Medien und kooperierenden Individualisten die schon völlig ausgebrannten Zeichensphären zu verkohlen, wobei das Handeln der ersteren Bereiche durch deren ökonomische Interessen legitimiert wird. Der von jeglichen materiellen Nöten losgelöste Nouveau Bourgeois hingegen versucht in den extremen Ecken der Zeichenwelt seine coole Einzigartigkeit zu beweisen und bleibt dennoch immer darauf angewiesen, dass die Gemeinschaft die virtuellen Eskapaden auch zu dekodieren weiß. Tut sie das nicht, fühlt sich der Dandy schnell wie ein nasser Hund.
Diese
Arbeit wird untersuchen, inwieweit die kulturellen Zeichen einer spekulativen
Ideensammlung gleichen, die leicht und eventuell zufällig - wie ein
Spielkartenkonstrukt - zusammenfallen kann.
Abbildung 9: ohne Autor: Die war nicht wirklich hübsch. Egal, Hauptsache die Titten hängen raus, Bilder von der Love-Parade 2000a Quelle: http://www.freche-jungs.de
In der Beschäftigung mit den Bedeutungen bleiben wir Menschen verbunden mit der imaginären Gemeinschaft; hier spüren wir sogar in den irrealsten Winkeln des Universums einen Hauch menschlicher Wärme auf. Um ständig auf der Höhe der Zeit zu sein – also in der ständigen Kommunikation mit den Zeichen zu stehen - machen wir selbst vor den makabersten Seiten menschlicher Existenz keinen Halt.
Abbildung
10: ohne Autor: Jena,
Bilder von der Love-Parade 2000b
Quelle: http://www.freche-jungs.de
Obwohl
wir zu herausgeputzten Selbstbestimmern ästhetisiert sind, muss es uns um
tiefe, rudimentäre Motive gehen, wenn wir uns auf die Hetzjagd nach styles,
tribes & extremities machen. Die Identifizierung mit Grenzüberschreitungen
und radikalisierten Lebensmodellen mit dem Wunsch nach Differenz und
Individualität zu begründen ist die naheliegende Antwort. Dass damit aber
auch der Wunsch nach Gemeinschaft durch das Substitut der permanenten
Selbstkontrolle befriedigt wird, verdeutlicht sich, wenn man weiß, dass die
Form der Gemeinschaft schon immer das wirksamste Kontrollinstrument für die
darin lebenden Menschen bot. Wenn die einzig verbindende Form unserer
Gemeinschaft darin besteht, „auf der Höhe zu sein“ (Kamerun 2000,
S. 11) sowie für die Zeichen der Zeit „stets geschärft zu sein“
(ebd.), und dies die letzte wirkliche Solidaritätsebene darstellt, dann
scheint unser Bedürfnis nach Unterdrückung derzeit die wichtigste Zutat in
unserem kapitalistischen Lebensmenü zu sein. In diesem Zusammenhang wird
klar, dass es beim Wettbewerb um die coolen Zeichen immer auch darum
geht, wer die „strenge Selbstkontrolle“ am besten managt (Holert /
Terkessidis 1996, S. 13).
Abbildung
11: ohne Autor: ohne
Titel, Bilder von der Love-Parade 2000c
Quelle: http://www.freche-jungs.de
Diese Arbeit wird analysieren, inwiefern in der marktwirtschaftlichen Freiheits- und Freizeitgesellschaft individuelle Selbstbestimmung und freiwillige Selbstkontrolle überlappen.
Nur
wenn wir Individuen wissen, dass die anderen unsere Handlungen richtig
auffassen, werden wir auch richtig handeln (richtig in dem
Sinne, dass wir genau wissen, worum es geht; warum es
- als Beispiel – jüngeren Frauen ausgerechnet in diesem Herbst möglich
ist, die Schlangenleder-Cowboystiefel aus dem Schrank mit den
Karnevalaccessoires herauszukramen und damit ins Büro zu stapfen).
Abbildung
12:o. A.: Sondermodell DM 329,90 Nur noch in Gr. 42 und 44 lieferbar! Quelle:
www.bayernshopping.de
Der
ständige Vergleich belässt die Dinge nicht so wie sie sind, sondern bindet
sie in eine kontinuierliche Bewertung mit den anderen Dingen ein. Nichts ist
so, wie es wirklich ist; die Welt der Zeichen hält uns in Atem. Nur die
Klassiker sind verlässlich.
Diese Arbeit wird den Gründen nachgehen, warum Trends, Styles und Moden ständigen ästhetischen Veränderungen ausgesetzt sind. Sie wird versuchen, die Parallelen zwischen Markenartikeln und Superstars aufzudecken.
Abbildung 13: Madonna: Music, CD-Cover, 2000 Quelle: http://www.amazon.de
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Der Kapitalismus materialisiert die Zeichen und verpackt die Träume und Identitäten in seine Waren. Auf dem Weg zur passenden Identität in Warenform stolpern wir Konsumenten in Kooperationen mit Einkaufszentren, Stars und Fernsehsendungen, und werden trotzdem nie richtig verstanden. |
Wer produziert die Zeichen, die unseren Träumen entsprechen und uns das Gefühl vermitteln zu einer Gemeinschaft zu gehören? Warum vertrauen wir uns bei unserem „Lebensprojekt“ (Beck 1997a, S. 11) den Waren an, obwohl uns der Kapitalismus keine Garantie für die Lebensdauer der Bedeutungen gibt und wir uns bewusst sind, dass es sich beim Kapitalismus bestimmt um keinen aufrichtigen Genossen handelt?
Wenn die Zeichen der Kultur entspringen, kann uns dann vielleicht die authentische Kunst die identitätsverleihende Ästhetik besorgen, die wir uns so wünschen? Stellt sich die besagte Authentizität im Zusammenhang mit uns Massen und Märkten nicht womöglich eine Illusion dar, wo doch jedes Individuum über eine eigene Komposition an Zeichen verfügt? Können wir uns vielleicht an gänzlich anderen Maßstäben orientieren? Handelt es sich bei den Styles, Moden und Zeichen vielleicht sogar um ein großes Universum an Hochstaplereien? Fragen über Fragen, die jeder hat, aber keiner stellt!
Diese Arbeit beabsichtigt, Klarheit in die unendlichen Zusammenhänge zwischen Ökonomie, Kultur, Kunst, Ästhetik, politischer Krise, Individuum und globaler Gemeinschaft zu bringen, ohne einer der klassischen Untersuchungsmethoden verhaftet zu bleiben.
Die Wahrheit liegt im Kontext!
Der heutige Turbo-Kapitalismus mit seinen Superkonzernen, die wiederum ihre hypergigantischen Megamarken auf die supergierigen Märkte werfen, auf denen sich dann die Konsumenten wie die Löwen um die fetten Beutel reißen, steht vor einem echt starken Problem. Während Großkonzerne à la DaimlerChrysler mittlerweile die Schwierigkeiten einer globalen Marktbegattung spüren, und dies inzwischen - zurecht - auf die kulturellen Unterschiede der verschiedenen Kontinente geschoben wird, stecken selbst regional agierende Unternehmen mit ihren global präsenten Marken im Dilemma.
Insbesondere
im Konsumgüterbereich, der traditionell stark auf die Imagetransfers der
Jugend und der Szenen angewiesen ist, haben die ehemals coolen Marken wie
Coca-Cola, Nike, Benetton, adidas oder Levis ein Problem mit ihrer Glaubwürdigkeit.
Und zwar geht es hier nicht um ein Problem mit Produktqualität oder ökologischer
Verträglichkeit. Vielmehr steht das Marketing dieser Marken bei den
Konsumenten – vor allem bei den wachsamen Jugendlichen – im Verdacht,
Images nur vorzutäuschen und nicht wirklich so zu sein, wie in der Werbung
propagiert.
Mit den Worten dieses Aufsatzes formuliert heißt dies: die Zeichen der Markenwelt sind nicht mehr die coolen Zeichen, weil sie von den viel aufgeweckteren Individuen, Szenen und Kulturen als verstaubt, falsch und kommerziell angesehen werden. Die Vorstellungen von den einzelnen Marken, die mit der eigenen Existenz in Verbindung gebracht werden sollen, stellen sich in viel komplizierterer und kritischerer Natur dar, wie das die Markenmacher gerne sehen würden. Konsumenten kennen heute ganz genau den Kosmos der Zeichen und Bedeutungen und wissen zu unterscheiden, ob ein Produkt heute für sie akzeptabel ist oder nicht.
Je
größer dabei eine Marke wird, desto kritischer wird ihre Gültigkeit für
die hochindividuellen Lebensvorstellungen gesehen: Warum sollte ich eine
Marke gut finden, die ihre Produkte von Kindern in Asien herstellen lässt,
die überall zu haben ist (sogar in Supermärkten), die von den Lehrern
getragen wird und für die inzwischen jeder dritte Fußball-Bundesligaverein
Werbung macht?
Das Problem ist dabei vor allem, dass sich die Marken genau mit den (falschen) Zeichen rühmen, von denen sie in Wirklichkeit um Generationen entfernt sind. Hingegen wird von den Konsumenten als ehrlich angesehen, wer die Produkte den Spezialisten vorbehält, wer kritisch mit seinen Produkten umgeht, wer auch die Leistungen anderer respektiert, und vor allem wer nicht ständig immer nur mit sich selbst spricht. Marken von Konzernen, die sich selbst am größten finden, geraten heute vor allem beim jüngeren Publikum in tiefe Missgunst.
Unternehmen machen den Fehler, sich selbst für die größten Experten im Bereich ihrer Produkte zu sehen, während die Kommentare von Konsumenten zum Teil geplant verheimlicht werden (wie etwa im Falle Mitsubishi). Dabei sind durch technische Innovationen, v. a. durch das Internet, die Konsumenten meist besser über die Produkte informiert, als die Hersteller selbst. Während der Konsument nämlich mit den Konkurrenzprodukten vergleicht (oder z.B. durch Preis-Broker-Suchmaschinen finden lässt), hat das Unternehmen oft keinen blassen Schimmer von den Vorzügen anderer Marken, oder gibt dies zumindest nicht zu.
In diesem Zusammenhang wird es für die Ökonomie immer wichtiger, sich auf die kritische Auseinandersetzung mit ihren eigenen Aussagen einzulassen, um möglichst objektiv von außen analysieren zu können, worin das authentische Potenzial ihrer Marken besteht. Es geht heute darum, die eigene Position als kommerziell agierendes Unternehmen nicht nur zu reflektieren, sondern diesen Umstand a) nicht zu leugnen und b) offen zu thematisieren.
Der
Kapitalismus hat sich jahrzehntelang nicht um die kulturwissenschaftlichen
Analysen gekümmert. Noch immer wandeln viele seiner Teilnehmer planlos im
Irrlicht der ökonomischen Denke und sehen die Wirtschaft als den sozialen
Bereich, dem sich alle anderen Felder des Lebens unterordnen müssen: Die
Wirtschaft verändert sich ständig, sie ist global ausgerichtet, da muss
mitgezogen werden, während die anderen Bereiche starr sind, monetär nicht
einsatzfähig, also müssen wir uns einigen auf die noch flexiblere
Wirtschaft.
Dabei
vergessen sie, dass es sich bei der Ökonomie wohl um den einfältigsten und
starrsten aller sozialen Bereiche handelt: Während sich die Kultur ihre
eigenen „Zeichen der Zeit“ (Priddat 2000, S. 201) setzt und in
einem permanenten Akt der Umdeutung diese Zeichen neu besetzt werden, hätte
es die Ökonomie am liebsten, wenn alle anderen Bereiche einfach ihre Beiträge
zu den Zeichen (à la Wir sind die Größten, also kauf uns) ohne zu
mucken übernähmen und so die Warenwelt den Träumen der Manager (sprich
leere Lager, leere Regale, etc.) entspräche.
|
„Märkte sind Gespräche. Unternehmen
müssen einsehen, dass ihre Märkte häufig lachen. Über
sie.“ (o.V., in: GDI Impuls 2000, Titel) |
Dass ausgerechnet die gesellschaftlichen Bereiche, welche die Warenwelt am heftigsten kritisieren zu den begehrtesten, weil authentischsten Imageträgern gehören, müsste der Ökonomie zu denken geben. Oder hat sie ihre soziale Rolle ganz aufgegeben und versucht nun, wie die schwedischen Tråndscouts Ridderstrale/Nordstrom fordern, „die letzten Tabus auszubeuten und darin mehr als gut zu sein“ (Ridderstrale/Nordstrom 2000, S. 244)? Sieht man den Kapitalismus als ultimativen Terror der 1. Welt über die darin Kontrollierten, dann trifft diese Aussage aus ökonomischer Sicht sicherlich den Punkt. In diesem Fall beisst sich die Ökonomie jedoch in den eigenen Schwanz: im Unterschied zu anderen Wissenschaften und Bereichen der sozialen Ordnung ist sie notwendigerweise auf den Umgang mit den Menschen und deren Bedürfnissen angewiesen. Wenn die geschlossene Wirtschaftsgesellschaft die Zeichen der Zeit nicht erkennt und deren Produkte durch das Wunschgeflecht der Menschen fallen, entsprechen die Botschaften der Megamarken einer Antikonversation. Wirtschaftsunternehmen stehen im Gegensatz zu Instituten für Nuklearphysik in der Mitte des Marktplatzes, wo sie so lebensnah wie möglich präsent sein müssen. „Der Konsument will von Business nichts wissen“ (Searls / Weinberger 2000, S. 25).
Es geht vielmehr, und immer wieder, um Authentizität. In den PR-Abteilungen großer Konzerne jedoch geht es darum, positive Medienberichte mit Tonnen voll Selbstanpreisungen möglichst geschickt zu platzieren, Kampagnen möglichst zielgenau abzuschießen, die Zielmärkte zu bombardieren und Strategien anzupeilen. PR-Typen und Marketingabteilungen gelten so inzwischen „als die Gebrauchtwagenhändler der Unternehmenswelt: Man kann ihnen nicht ohne aktivierten „Bullshit“-Filter zuhören“ (Searls / Weinberger 2000, S. 26).
In diesem Zusammenhang bleibt den Unternehmen die Möglichkeit sich in möglichst effizienter und flexibler Weise in den Zeichenfundus der Kreativen und der Kulturen einzukaufen. Dieses Konzept aber in eine derartige Dynamik umzusetzen, wie es nötig wäre, um dem Realen und Authentischen in all seiner Wucht zu entsprechen, gestaltet sich als unmöglich. Da können Konsumenten besser auf die Warenhaftigkeit der Zeichen verzichten und sich stattdessen selbst in den coolen Zeichenfundus stürzen. Halbherzige Marketingaktionen, wie z. B. allen Produkten das Adjektiv NEU zu verpassen oder mit dem Kürzel REAL zu versehen, oder das vermeintlich hässliche der Gesellschaft abzubilden, bieten den Konsumenten jedoch keine Glaubwürdigkeit. Damit beweißt die Ökonomie mal wieder allen nur, wie sie den Dialog unter Gleichen überhaupt nicht versteht, und wie sie das Konzept der Authentizität, wie oben erwähnt, ad absurdum führt, denn, so stellt der Fotograf Christian Boros fest, ist „man nicht dann ehrlich, wenn man Ehrlichkeit imitiert, sondern wenn man aufhört zu lügen“ (Wippermann 2000, S. 14).
Dabei gleicht der Kapitalismus in seiner Struktur und in seiner Art Werte zu schaffen, immer mehr der Rolle eines Künstlers und Ideenerfinders. Ob ihm dieser Umstand selbst bewusst ist oder nicht, spielt keine Rolle; der Kapitalismus befindet sich in der Tat mitten in der Welt der Zeichen, geht es ihm doch immer stärker um die „Rechte an Marke, Konstruktion, Design und Know-how, an Optionen, Dienstleistungen und Erfindungen“ (Zielcke 2000b, S. 17), und immer weniger um den Besitz von Betriebsgebäuden, Fertigungsanlagen oder hohem Personalbestand. So steht der Kapitalismus nun vor der Tatsache, dass nicht er die Kultur und die Konsumenten modelliert, sondern im Gegenteil er selbst von den kulturellen Symbolen und Entwicklungen umgeformt wird. „Das Eigentum an der ideellen Substanz dirigiert das Eigentum an der materiellen Substanz“ (Zielcke 2000b, S. 17).
Ist man zu dieser Erkenntnis gekommen, stellt sich wiederum die Frage, ob die Frage das Eigentums an der ideellen Substanz, die in Form von Gestaltung und Ästhetik durch alle sozialen Bereiche schwebt, nicht eine antiquierte, in der Warenwelt verhaftete Vorstellung bildet. Wem gehören die kulturellen Zeichen?
Steht nicht mehr der Besitz des Materiellen im Vordergrund konsumistischer Aktionen, sondern die Akquisition möglichst gut gestalteter Codes, die sich im Zusammenspiel mit der schon vorhandenen individuellen Zeichenkomposition subversiv ergänzen, dann wird deutlich, dass in einem Remix des Realen alle Konsumenten zu ihren eigenen Zeichensprechern werden. Die Unternehmen müssen erkennen, dass ihre Ideen, so gut diese auch sein mögen, der Umkodierung unterliegen. Die Zeichen sind nicht in den Griff zu bekommen, genau das hat aber die Ökonomie bisher versucht. Im Gegenteil erfordert die Paradoxie der Zeichen eine permanente Beschäftigung mit ihnen: die Zeichen stehen im Mittelpunkt des Konsumenteninteresses, weil sie auf der einen Seite Identitäten und Verlässlichkeiten vermitteln, auf der anderen Seite ändern sich die Konnotationen ständig, weil jeder in quasi künstlerischen Aktionen den Thrill der eigenen Andersartigkeit darstellen möchte. Wodurch dann die Identität wieder auf wackeligen Beinen steht, und die Suche nach dem wahren Ich von vorne beginnt.
Im Endeffekt bleibt der Ökonomie die Erkenntnis, dass die Zeichen allen und keinem gehören, und sie sich durch deren Unklarheit und Unverbindlichkeit mit Missverständnissen, auf jeden Fall aber mit Prozessen der Interpretation und der Kommunikation auseinandersetzen muss. Indem unklar und offen bleibt, wer welche Zeichen zu welcher Zeit liest, wird offensichtlich, dass die Annahme, bei Individuen oder der Kultur handele es sich um invariante Werte- und Einstellungssysteme, verworfen werden muss. Und wieder ist es die Kultur, welche die Differenzen in den individuellen und gruppalen Einstellungen zum Vorschein bringt.
Für die Ökonomie stellt sich nun die Frage, wer die Zeichen eigentlich produziert, die im Kapitalismus ohne Systemfeind ja allein von den Individuen gelesen und verstanden werden müssen: der Kapitalismus selbst, die Kultur, die Erfahrungen der Menschen (Gott kommt nicht mehr in Frage)? Die Antwort liegt wohl in der gesamten Bandbreite, welche auf der einen Seite beginnt mit den globalen Werten und über die Stationen Nation, Gesellschaft, Gemeinde bis zu den hochindividuellen Erfahrungen reicht. Das Spektrum und dessen Kontext setzen die Zeichen in der permanenten Kommunikation untereinander (ein Prozess, der also wiederum am besten mit dem Begriff der Kultur umschrieben werden kann).
Im Vergleich zur Ökonomie hat es die Kultur, im Sinne dieses Aufsatzes die Kulturproduktion, beim Diskurs um die Symbole und Bedeutungen verhältnismäßig einfach. Zieht man das reine Aktionsfeld der Kulturproduktion in Betracht, und lässt zunächst einmal die kommerziellen und pop-kompatiblen Ansprüche außen vor, geht es der Kultur ausschließlich darum, eine möglichst kritische und kreative Gegenkonstruktion zum Realen zu etablieren. Kultur ist das, was der Mensch in Kommunikation mit der Gemeinschaft und den äußeren Umständen erschafft. Indem sie das Reale deformiert und so eine andere Beschaffenheit der Wirklichkeit suggeriert, ist das Treiben der Kultur immer eingebunden in einen Akt der Willensäußerung. Kultur ist nur möglich, wenn Menschen eine Aussage mit ihrem Tun kombinieren. Der so erschaffene Remix der Dinge definiert sich durch Bedeutungen, Symbole und kulturelle Zeichen; erst durch deren Beimischung verbleibt das Abbild nicht nur ein Spiegelbild, sondern kreiert ein neues, ein eigenes Bild. Kultur produziert also die Zeichen, und da die Kultur – wie auch die Ökonomie oder die Politik – aus Menschen besteht, sind die Menschen verantwortlich für die Produktion der Zeichen. Ohne das Individuum und ohne die Form der Gemeinschaft / des Stammes wären die Zeichen wertlos. Der Erfolg aller Dinge würde sich nach den zu den Menschen gehörenden Grundbedürfnissen richten. Ohne die Kultur wären die Menschen Barbaren (siehe Kapitel III A), alle Dinge entsprächen einem existentiellen Nutzen, die Kapitalisierung der Zeichen wäre nie ein Thema geworden.
Nun kann die Kultur befreit auftrumpfen, denn sie steht im Gegensatz zum Kapitalismus nicht im Verdacht, als unecht oder menschenverachtend angesehen zu werden. Sie ist ein Teil im System der Produktion von Zeichen, unterliegt aber nicht der bedrückenden Aufgabe, diese Zeichen auch verwerten zu müssen. Und wenn sie das doch tut, entsteht dabei wieder Kultur, wodurch die Kultur ungefährlich und sympathisch bleibt. Dass alle Beteiligten, also Individuum, Politik, Gemeinschaft, Kultur und Ökonomie, immer im eigenen Interesse die Zeichen verwerten, umkodieren, damit spielen, sie verwerfen, etc., bleibt also solange ungefährlich und korrekt, wie sie die anderen Bereiche respektieren und als gleichwertig akzeptieren.
Man könnte
aber auch den Spieß umdrehen und behaupten, alle Bereiche im System der
Zeichen und Gefühle bedienen sich immer des kapitalistischen Prinzips, geht
es doch allen Beteiligten immer nur um die eigene Bereicherung und
Selbstverherrlichung. Sogar die sich als Rettungsanker für die elitären
Insider formierenden Sub- oder Gegenkulturen unterscheiden sich in dieser
Hinsicht nicht vom vielgescholtenen Mainstream. Prinzipiell steht für alle
Beteiligten der Kampf um die coolen Zeichen im Mittelpunkt des Aktionsfeldes,
nur mit dem Unterschied, dass sich Subkulturen zeitlich und intellektuell mehr
damit beschäftigen und sie so zumeist höhere Trefferquoten beim Umkodieren
der Zuschreibungen verzeichnen können. Fest steht zum einen, dass bei der Produktion der
Zeichen zumeist die Ökonomie durch deren eingebildete Fokussierung auf monetäre
und materielle Felder gehemmt scheint (es geht in Unternehmen mehr um das
Wiederholen bereits bestehender erfolgsversprechender Tätigkeiten, und
weniger um das Umändern der bekannten Aktionen, was zuviel kosten würde),
und klar ist zum anderen, dass die Erzeugung der Zeichen durch die anderen
Disziplinen zwar stärker und vielschichtiger ausfällt, aber die Bedeutung
des eigenen Schaffens in den seltensten Fällen ge- und erklärt werden kann.
Dies ist auch nicht notwendig, denn auch alleinige Erfahrung reicht zur
Umgestaltung aus (z.B. wissen Künstler oft gar nicht was sie tun; fragt man
sie, warum dies oder jenes auf die eine Weise und nicht anders gestaltet
wurde, bekommt man als Antwort evtl. nichts als fragende Stirnfalten,
Aggression, Schüchternheit, uns anderes ...).
So stellt sich heraus, dass nicht der schöpferischen Tätigkeit der Zeichenproduktion selbst, sondern der Fähigkeit, diese Zeichen zu entziffern und zu verwerten, die eigentliche Schlüsselrolle bei der Verteilung der Werte und Bedeutungen zukommt. Erst durch das Wissen um die Bedeutung der Zeichen kann dem Physischen und dem Symbolischen zu einer Liaison verholfen werden, was eine neue Aussage generiert und als politisches Statement Gültigkeit haben kann. Nur wenn wir wissen was wir tun, haben wir die Chance genau das zu schaffen, was wir schaffen wollen.
Diese Binsenweisheit aus einem x-beliebigen BWL-for-beginners-Lehrbuch trifft in unserem Zusammenhang genau den Punkt: Die Ökonomie hat es sich bisher im Unterschied zu Big Brother nicht erlaubt, beliebige Zeichen zu lancieren, wäre sie doch ansonsten in die Gefahr gelaufen, den Ruf ihrer Marken zu gefährden. Vielleicht sollte sie aber genau das in Zukunft tun.
Schließlich kann das Format Big Brother zurecht von sich behaupten, den Nerv, also die sicherlich massentauglichsten coolen Zeichen des Jahres 2000 produziert zu haben, und das aufgrund eines Aktes der Anarchie. Denn Big Brother hat genau das gemacht, was sämtliche Subkulturen und Intellektuellen vorher nicht fertiggebracht haben, nämlich barbarenhaft auf die Bedeutung der Zeichen und Werte zu pfeifen, und sich nicht darum zu kümmern, wie die eigenen Zeichen außen aufgefasst werden würden. Wird hier also implizit ein Zuviel an Emanzipation beklagt? Definiert sich die neue brüderliche Bürgerlichkeit über ihren Wunsch nach einer „Eindämmung von übertriebenen Individualitätsansprüchen“ (Terkessidis 1999, S. 1)? Wird die Beschäftigung mit den unsicheren coolen Zeichen langsam zu aufwendig oder zu hirnanstrengend? Besteht die Solidarität und das warme Gefühl in der Hose für Big Bürger darin, mal wieder dazu zu stehen, uncool zu sein?
Für den Mainstream jedenfalls verkörperte BB die perfekte Authentizität, und jeder BB identifizierte sich damit. Und zwar paradoxerweise genau deshalb, weil Big Brother eben gar keine Werte, Zeichen oder Bedeutungen vermitteln wollte. Vermittelt werden sollte im Gegenteil: NICHTS. Weswegen auch alle Versuche, das Phänomen zu bändigen und zu erklären, scheiterten. NICHTS ist dem Spaß sehr nahe, weswegen dann die zweite Staffel Big Brother allerlei nackte, sich duschende Körper bot, also eine voraussehbare Re-Produktion dessen, „was in der ersten Staffel noch roh und ungeplant daherkam“ (Wittich 2000, S. 1). Da avancierte das uncoole Zeichen zum Merkmal, weil die Beteiligten gar nicht wussten, was sie taten (vgl. Kapitel III A).
In
der Kultur muss es demnach im Gegensatz zur Ökonomie und zur Politik um mehr
gehen, als um die kalkulierte Produktion und Vereinfachung der Werte und
Symbole. Verlagert sich das ökonomische Feld von der Kapitalisierung der
materiellen Nützlichkeiten zu den emotionalen und ideellen Werten, bleibt der
Kultur einerseits immer noch die Herausforderung, die immer noch materiellen
und ideologischen Missstände zu thematisieren. Andererseits hat es die Ökonomie
bisher nicht geschafft, den Fragestellungen der Konsumenten oder
Nicht-Konsumenten an ihre Produkte mit angemessenen Antworten
entgegenzutreten: während die Marktwirtschaft etwa auf die komplexen Probleme
der Globalisierung mit formelhaften Erklärungen versucht, alle von ihrer
Souveränität zu überzeugen, und damit lediglich überschwängliche bis
falsche Sicherheiten verspricht, gehören Komplexität, Reflektion und
Differenzierung zur Logik künstlerischer Arbeit. Und da die Wahrheit
menschlichen Tuns immer im Kontext und nicht in der Formel liegt, steht die
Kultur mit ihren Aussagen und Zeichen den Bedürfnissen der Menschen nach Um-
und Dekodierung näher als die Marktwirtschaft, die diesen Bereich entweder
gar nicht vorsieht, oder lediglich ein gewisses Budget für Trendscouts zur
Verfügung stellt.
Während in den letzten beiden Kapiteln einige Ansätze dazu gegeben wurden, auf welche Arten die kulturellen und ökonomischen Felder versuchen, mit dem Problem der ästhetischen Entwicklungen und deren Input auf die jeweiligen Aktionsgebiete beizukommen, bleibt noch ungeklärt ob, und wenn, dann inwiefern politische und staatliche Instanzen zum Entstehen von Zeichengebilden und Trendkomplexen beitragen. Vorweg ist eines sicher: im Sinne der Erkenntnis, dass es sich bei den Bedeutungen und Symbolen und Phänomene handelt, die durch politische Ereignisse, wie die Französische Revolution und der darauf folgenden bürgerlichen und kapitalistischen Emanzipation (vgl. Kapitel III A) erst ihre eigene Bedeutung erlangten, steht politische Entwicklung seitdem auch immer im Kontext von ökonomischer und kultureller Formation. Zudem wäre es widersprüchlich, wenn im Zuge der Zeichenbildung und der Trendanalyse als reiner Kontextarbeit zwischen den einzelnen Disziplinen, die Politik von einer Analyse ausgeschlossen bliebe.
Im Gegenteil tragen politische Ereignisse und Tendenzen in offensichtlicherem und weltweit homogenerem Maße zu ästhetischen Themen bei, je mehr sich die Politik selbst auf das weltpolitische Terrain begibt. Die Kultur prägt unmittelbar das Entstehen der Ästhetiken und Antiästhetiken, während sich die Ökonomie darauf beschränkt, die entstandenen Trends und Moden in monetäre Werte umzusetzen. Die Politik schafft jedoch für die ganzen Handlungen erst die Legitimationen. Sie setzt sich dabei nicht aktiv mit den Trends und Symboliken auseinander, sie präsentiert nur deren Effekte in ihrem Tun selbst. Wenn jüngere Politiker der großen Parteien inzwischen mit grellen Haarfarben auftreten können und dies nicht einmal die letzte übriggebliebe Spalte in der Tageszeitung auszufüllen vermag, beruht dies auf dem Umstand, dass dieser Ableger irgendeiner ästhetischen Entwicklung schon längst besteht und nun endgültig zum Mainstream avanciert ist.
Politik übernimmt daher die ihr ureigentlich zugeteilte Rolle des Absegnens eines Themas aus der gesellschaftlichen, kulturellen oder ökonomischen Sphäre. Wenn die politische Instanz im Ernst eingestehen würde, dass gewisse Chancen realisierbar sind (wie etwa das Fahren von Erdgasfahrzeugen), dann bekäme die Politik sicherlich auch die Auszeichnung verliehen, selbst Zeichen setzen zu können und Richtungen zu bestimmen – auch im ästhetischen Sinne. Wenn ein Bundeskanzler Schröder aber auf der Cebit in Hannover verkündet, das Internet sei ein wichtiger Bestandteil der Zukunft, dann hat er 1) nur etwas zu verstehen gegeben, was sowieso bereits jedem bewusst ist und 2) gerade deshalb die Zukunft zur Gegenwart, und damit zum quasi thematischen Bestandteil und Ziel seiner Politik gemacht. Schließlich repräsentiert die Politik nicht nur die Gefühle und Stimmungen des ganzen Volkes; sie gibt mit ihren Statements zur Kultur auch zugleich bekannt, was von nun an zum Mainstream, zum bürgerlichen Hausrat, gehören soll. In ihrer Rolle gleicht damit die Politik einem Boris Becker in der AOL-Werbung, der ebenfalls andeutet, dass selbst der technisch unbegabte und sprachlich trottelige Durchschnittsmoloch sich in den nächsten Media-Markt begeben sollte, um dort den Ausweis seiner Zugehörigkeit zum Mainstream zu erhalten. Jedes andere Verhalten wäre von da an unwirtlich.
Abbildung
14: Wachsendes Abstraktionsniveau der Trendanalyse
Quelle: Liebl 2000b, S. 60
An Liebls Konzept zum Grad der Abstraktionsdichte abgeglichen (s.o.), kümmert sich Politik also nicht um sporadische oder szenenspezifische Sachlagen wie Moden, Trends oder Megatrends, sondern fokussiert ausschließlich die Meta-Entwicklung, die sie letzten Endes durch Werteverschiebung und Werteanpassung zum Teil neu mitgestaltet. Ein Beispiel für ein solches Umändern globaler Werte wäre ein im Sinne der Ökologie erfolgreicher Klimagipfel, dessen Auswirkungen (auch in rechtlicher, bürokratischer, globalpolitischer Hinsicht) wiederum die untergeordneten Bereiche Trends, Moden, etc. in ihrem kontextualen Gefüge beeinflussen würde.
Politik verkörpert also im Bereich der Zeichen und Entwicklungen tendenziell deren massenhafte Erscheinungen, die der Umkodierung durch die Klienten (das Volk, die Ökonomie) nicht mehr bedürfen. Das hindert sie aber nicht daran, in gesellschaftlichen Bereichen Zeichen zu setzen, welche dann die Richtlinie für das Treiben der verschiedenen sozialen Bereiche darstellen.
Der Staat bzw. die Gemeinschaft der entwickelten Staaten zeigt jedoch in ihrem Betrieb auch Parallelen zum Treiben avancierter ökonomischer und individueller Bereiche auf. So reagiert die Politik in ähnlicher Ausprägung auf die Tendenzen in der Wirtschaftswelt (gläserner Markt, klare Bilanzierungsrichtlinien nach modernen Vorgaben, Deregulierung, Privatisierung, private Renten) und legitimiert damit zum einen deren Handlungen und stellt zum anderen wirtschaftliche Erfahrungen als Vorzeigemodelle für politische Praxen dar. Die Ökonomie zeigt der Politik, wo es lang geht. Die Politik wird selbst zum Unternehmen und verschiebt moderne ökonomisch-politische Werte zu allgemeinen Vorstellungen, nach denen Individuen handeln können.
Selbst die Lösung hoch-komplexer Aufgaben, die ureigentlich dem Staat zugedacht sind, wird von der Wirtschaft übernommen. So ging man, wie Mark Terkessidis herausgefunden hat, Anfang der Neunziger Jahre davon aus, „der Markt sei der ökonomische Ort ethnisch indifferenter Vergesellschaftung“ (Leggewie) und „in gewisser Weise farben- und nationalitätenblind“ (Cohn-Bendit / Schmid, beides in: Terkessidis 2000, S. 38). „In den letzten Jahren ist es üblich geworden, den Markt mit Demokratie gleichzusetzen und sein „natürliches“ Walten als Allheilmittel für gesellschaftliche Probleme zu betrachten“ (ebd.).
So gleicht sich die Politik der Logik der Vereinfachung der Ökonomie an, auf die Phänomene der Globalisierung und den dadurch generierten Ängsten, tendenziell mit reduktionistischen Welterklärungen, die lediglich falsche Sicherheiten versprechen, zu antworten (vgl. Oswald 2000, S. 4). Der Kreislauf vervollkommnt sich, wenn auch Individuen, soziale Gemeinschaften sowie Kulturinstanzen beginnen, ihr Treiben unternehmerisch zu gestalten und vormals sozial legitimierte Prozesse auf deren monetäre Effizienz hin zu prüfen. Friktionen zwischen den einzelnen Bereichen verschwinden, was in Zustände mündet, die von vielen heute als starr und unpolitisch angesehen werden. Dass es das Phänomen unpolitisch eigentlich gar nicht geben kann, wenn es sich um soziale Prozesse handelt, wird nicht verstanden.
Aber wie soll auch die Idee eines Andersseins (was gemeinhin mit der Idee des Politisch Seins gleichgesetzt wird) verwirklicht werden können, wenn jeder soziale Bereich selbst sowohl ver- kulturalisiert, ökonomisiert und legitimiert, also letzen Endes kontrolliert ist, und das Individuum samt seiner nächsten Umgebung sämtliche Anstrengungen auf Distinktionskämpfe, Style Wars (Liebl 2000a, S. 131) und ökonomische Identifikationen richtet?
De- und Umkodierung von Werten macht in diesem Zusammenhang zwar für die Politik, die Wirtschaft und die Pop-Kultur Sinn, weil so der geschlossene Kreislauf (Werte, Entwicklungen, Zeichen, Trends, Materialisierung, Repräsentation, Identifikation, Dekodierung, Umkodierung, neue Werte, neue Entwicklungen, neue Zeichen, neue Waren, und immer so weiter....) künstlich am Leben gehalten wird. Spannungsgeladen, im Sinne einer Herstellung von Friktionen zwischen den im Kreise laufenden Akteuren, ist dies jedoch keineswegs. Die Anstrengungen der Politik hingegen richten sich auf die Angleichung der Systeme.
Der Beschäftigung mit den Zeichen und dem Austragen von Repräsentationskämpfen kommt also die perfekteste Form der Kontrolle zu, die man sich vorstellen kann. Gilles Deleuze hat die neue Formation der gesellschaftlichen Bereiche nach ihrem Machttypus und in Abgrenzung zur Disziplinargesellschaft so auch „Kontrollgesellschaft“ genannt. „In den Disziplinargesellschaften“, schreibt Deleuze, „hörte man nie auf anzufangen (von der Schule in die Kaserne, von der Kaserne in die Fabrik), während man in den Kontrollgesellschaften nie mit etwas fertig wird: Unternehmen, Weiterbildung, Dienstleistung....“ (Deleuze 1993, S. 254). Während früher das Unternehmen ein brachialer geheimnisvoller Körper war – ähnlich Kafkas Schloss – und vor allen Dingen der Ausbeutung der menschlichen Körper diente, so ist das Unternehmen heute eine „Seele“ (Holert / Terkessidis 1996, S. 13). Während der Arbeiter seine Einspannung in die Produktionsabläufe seelisch verneinen konnte, wird heute die volle Identifikation mit dem Unternehmen erwartet. Während Rio Reiser in den 70er Jahren aus seiner subkulturellen Sicht davon singt, „diese Woche blau zu machen, .....oder eben mal auf Stütze zu leben, oder einfach mal `ne richtige Auszeit (zu) nehmen“ (Reiser 1972), und dieses Verhalten irgendwann sogar zum guten Ton gehörte, würde diese Abart einer Ineffizienz heute selbst von den Arbeitenden als höchst uncool angesehen werden.
„Das macht niemand. Das will anscheinend auch niemand. Weil man Angst davor hat, nicht mehr mitzukommen. Das ist dieses unbedingte Auf-der-Höhe-sein, du musst da geschärft sein. Das scheint ja die Solidarität zu sein: Man fühlt sich in so einer merkwürdigen Gemeinschaft: „Wir müssen alle zusammen was anpacken“. Für wen eigentlich? Für einen selber dann doch nicht, denn du wirst davon selbst nie was haben. Das ist der Wahnsinn, ganz schräge. Und daraus entsteht natürlich, daß der Wunsch verkümmert, zu sagen: „Hier stimmt irgendwas nicht. Wir müssen was anderes machen.“ Dieser Wunsch stirbt völlig ab. Der Wunsch wird als Lüge begriffen“ (Kamerun 2000, S. 14).
Angeglichen an die künstlerischen Techniken des Sampling, des Remix, des Cross-Over und der Bricolage (vgl. Liebl 2000c, S. 135 - 145), die allesamt die Verfremdung oder Umformung bestehenden kulturellen Materials im Sinn haben, beweisen sich auch Konsumenten gegenseitig ihre künstlerischen Fähigkeiten (Skills), indem sie durch Verformung, Kombination von Widersprüchlichem (z.B. „Hemd von Opa, Gürtel von DKNY, Hose von DKNY, Schuhe Second-Hand“; o.V. 2000a, S. 15) und kontextualer Umschichtung ihre Machtfunktion im System der Zeichen und Ästhetiken zur Schau stellen. Bedeutungen, die etwa die Unternehmen mit dem Positionieren ihrer Marken verdeutlichen wollen, werden so eigenmächtig umkodiert oder gänzlich verworfen; „neue Werte schaffen immer neue Märkte“ (Gurk 1996, S. 23), was in den Unternehmen zunächst unheimlich unsicheres und später souverän angenehmes Erstaunen hervorruft, oft als hätte man genau dies auch im Sinn gehabt (vgl. Franz Liebls Beispiel einer Umkodierung durch Konsumenten bei der Mercedes-Benz A-Klasse, Liebl 2000, S.99).
Im Gegensatz zu den politischen Willensäußerungen der 70er Jahre, die ihre Missgunst gegenüber gesellschaftlichen Zuständen nach außen trugen, und die dafür Verantwortlichen anklagten, bleiben die Individuen heute im Kontext von „Selbst-Organisation“ (Beck 1997b, S. 184) und Ich-Repräsentation in ihrer gesellschaftlichen Auswirkung zunächst introvertiert. Eine Art paradoxer Solidarität unter den selbstgenügsamen Individuen stellt sich dennoch her: „Je individueller man wird (oder richtiger: Je mehr Mittel man hat, individuell zu werden), desto mehr gehört man auch dazu“ (Terkessidis 1999, S. 24). Die Dekodierung und Konsumtion von kulturellen Zeichen gehört also zu den Aufgaben von uns hochpolitischen Aktivisten, mit dem Unterschied, dass Politik heute in extremem Maße Ich - lastig ist, l’état est moi sozusagen. Die Art und Weise Interessen zu vertreten hat sich verändert, wie auch die angenehme Nebensache, dass obige Dekodierungs- und Konsumtions-Aufgaben locker als Hobbys durchgehen.
Wiederum bleibt das System in sich geschlossen, echte Friktionen stellen sich nicht her (vgl. Kapitel III D3). Einerseits erhalten „die hilflosen und dünnen Stimmen (der Individuen) ..... Möglichkeiten der Artikulation“ (Diedrichsen 1996b, S. 96) und revidieren somit die Theorie, dass die „Kulturindustrie“ (Adorno / Horkheimer 1944, S. 149) „dem Verstummen der Menschen, dem Absterben der Sprache als Ausdruck, der Unfähigkeit, sich überhaupt mitzuteilen, komplementär scheint“ (Adorno 1956, S. 10).
Andererseits bringt die Kultur die „Seele unter Kontrolle“ (Holert / Terkessidis 1996, S. 12), „inszeniert die Differenzen als Einheit“ (Adorno 1966, S. 41) und entspricht so genau dem „vereinheitlichenden Apparat“, den Adorno so befürchtet, und in dem er „die vollständige Totalität der bürgerlichen Gesellschaft“ verwirklicht sieht (ebd.).
Da es in der Individual-Kultur nun nicht mehr um die Autonomie des Menschen geht, sondern um Unterschiede, hat sich der kulturelle Kosmos folgerichtig in einen „monumentalen Differenzbauchladen“ (Terkessidis 1999, S. 24) verwandelt, der - im Bündel gekauft als individueller Stil bezeichnet - zum Remix des Realen wurde, und als neue ethische Avantgarde sowohl eine „Moral der Pflicht zum Genuss“ (Bourdieu 1987, S. 576), wie auch eine neue Form der Wahrnehmung des Realen erzeugt hat.
Ausgerechnet in der eigenen Freizeit wird ununterbrochen am Ego gearbeitet. Kritisch beäugt man sich selbst und die anderen: „Wie kann ich etwas besonderes werden, wie kann ich meinen eigenen Stil entwickeln, wie kann ich mich unterscheiden“ (Terkessidis 1999, S. 24)? Wer dem permanenten Check nach guten oder bösen Zeichen ausgesetzt ist, will in Ebenen vordringen, in denen vorher noch keiner war, um dann wieder die anderen auf Differenz zu checken. Zwangsläufig sieht man so die anderen als Rivalen und unterwirft sich selbst der ständigen Kontrolle, im Fitnessstudio wie auch bei der Karriereplanung.
Die Kultur der Selbstbestimmung erlaubt es den Individuen, Konzepte der Zeichen-Produktion und –Konsumtion zu gestalten, die ehedem als widersprüchlich und falsch angesehen wurden (z.B. ein Abonnement von Manager Magazin und von taz; vgl. Kapitel II). Insofern ist die vormals geforderte Homogenität von Verhaltensweisen, die man auch als authentischen Lebensentwurf bezeichnen konnte, obsolet. Jetzt gehört es zu einem aufregenden Lebensstil, auf verschiedene Aufgaben in unterschiedlichen Situationen mit den jeweils passenden Reaktionen zu parieren. Als verrückt und hip gilt, wer den möglichst schnellen Einstieg in die jeweils neue Situation mit Distinktionsvorteilen gegenüber den Anwesenden abschließt.
Damit präsentiert sich die kulturelle Originalitätsproduktion als konkurrenzkampfförmiges Verhältnis: jede „Neuerung, Denkstil, Sprachform und Lancierung wird den jeweiligen Produzenten zugeschrieben“ (Diederichsen 1996a, S. 151); „der Aufbau kulturellen Kapitals.....ist damit erheblich den economies of speed unterworfen“ (Liebl 2000c, S. 153).
Auf dem Lebensweg werden nun alle Distinktionsvorteile, die sich anbieten eingesammelt und mitgenommen. Kreative und all jene, denen die Zeit dazu bleibt, beweisen sich darin als ausgesprochen eigenständige Zeichensurfer, alle anderen benötigen die in Waren verpackten Applikationen, um sich mit der angemessenen Differenz im Spiegel betrachten zu können. Hat man letzten Endes via Konsum zu sich selbst gefunden, liegt dies aber wiederum nur an den anderen, weil nur der Vergleich vor Publikum die gewonnene Individualität bestätigt.
So offenbart sich die Gemeinschaft als Ladentheke der Selbstzuschreibungen, „zum klaustrophobischen Universum des Privaten“ (Terkessidis 1999, S. 24). Auf dem Weg zur Solidarität, der quasi amtlichen Bestätigung für alle Spezialindividuen durch die warme Gemeinde, stolpern die Konsumenten paradoxerweise in Kooperationen mit Einkaufszentren, Stars und Fernsehsendungen, welche die anderen Individualisten/Rivalen ebenfalls bedienen. Kaum die Ladentheke verlassen, hat sich jeder mit noch mehr Rivalitäten eingedeckt.
Strukturell ähneln sich die beiden Phänomene Hochindividueller Selbstbestimmer = Moderner Mensch und Kapitalismus so sehr, dass deren beider Tätigkeiten in synonymen Interessen münden. Beide bedienen sich aus dem Fundus an kulturellen Zeichen, wobei die Aktivitäten sich nicht decken, sondern der ganze Prozess eher als vertikale Integration oder schlicht als partnerschaftliche Kooperation bezeichnet werden kann. Ein Geben und Nehmen in einer harmonischen Partnerschaft personifiziert quasi das Unternehmen und verunternehmert das Individuum. Schwierig wird es für die Wirtschaft nachzukommen, wenn die Konsumenten die Zeichen so schnell verändert sehen, dass die Warenproduktion nicht mehr nachkommt.
Der Konsumentenwunsch nach Differenz bringt die Wirtschaft zudem in die Misere, sich ständig in die noch unkapitalistischen Regionen (Szenen, die als Subkulturen gelten) einkaufen zu müssen, wenn die Trendscouts den ästhetischen Entwicklungen nicht nachkommen oder falsche Prophezeiungen getroffen haben. Der Kapitalismus formuliert seinerseits permanent neue Zeichen, indem er technische Zukunftsvisionen entwickelt (z.B. Wap Handys), die einerseits erst durch die Individuen geprüft werden müssen, die aber andererseits zurecht Hoffnung auf neue Streams machen, indem sie noch gar nicht dekodiert worden sind. Die Kombination aus Zukunftsangst, Ästhetik und Technik formuliert im besten Falle für die Unternehmen der New Economy eine Ideologie der Zukunft, welche die Konsumenten wiederum vor die Herausforderung stellt, die Zeichen der Zukunft – und damit die Zeichen des Jetzt - neu zu überdenken.
In der Massenproduktion von z.B. Mobiltelefonen und der damit verbundenen Vision einer so-und-so-artigen Zukunft lässt sich für den Kapitalismus geschickterweise das Bild einer demokratisierten Zukunft herstellen, was als Illusion eine grandiose Kompatibilität mit dem Wunsch der Konsumenten (auch der elitären Selbstbestimmer) nach einer heilen Welt entspricht. Handys für alle bedeutet in diesem Kontext jeden in die Zukunft zu integrieren; sie gestalten sich so als die Blue Jeans von heute (vgl. Kapitel VII A).
Politisch gesehen stellt sich die Frage, ob all diese Entwicklungen im Laufe der Zeit sämtliche Potentiale der Kunst wie auch alternativer Projekte so vollständig aufgegeben haben, dass sie bald jenem rundum informierten und aufgeklärten Selbstbestimmer/Menschen entsprechen, den Slavoj Zizek den „zynischen Untertan“ genannt hat (Zizek 1996, S. 88): Gerade weil er alle Symboliken und Verhältnisse kennt, ist er zur Aktion völlig unfähig geworden, und damit für die jeweiligen Regimes um ein Vielfaches angenehmer als irgendwelche Barbaren, Big Bürger und Rückständigen (vgl. Kapitel III A und III B).
1. The Kitchens of distinction – die Waschküche der Trendforschung
-
Da Trends immer von unten, links, rechts, daneben, etc. bzw. von
der Unbestimmtheit der Zeichen als Kontextpool - den alle kennen und keiner
besitzt - kommen, können die in ihnen propagierten Werte als Doktrin nicht
funktionieren.
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Sie werden dann von Individuen/Konsumenten abgelehnt und sind
zum scheitern verurteilt.
-
Trends können nicht von der Ökonomie kommen; wenn diese
versucht einen Trend zu installieren, waren die dafür notwendigen Zeichen
meist schon vorhanden, nur wurden sie nicht ökonomisch genutzt.
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Wenn Firmen (Marken) an einem Trend partizipieren wollen, müssen
sie sich schon im Stadium des Gegentrends und unter Insidern einer
verschworenen Gruppe (z.B. einst die pizzamampfenden bärtigen Apple Fans)
einnisten, um später die notwendige Authentizität vorweisen zu können (zum
Erkennen der coolen Zeichen, die eine Gegenkultur besitzt, sind im übrigen
die meisten Unternehmen aufgrund ihrer ökonomischen Mission nicht fähig).
- Die Wirtschaft muss also, will sie dennoch das Wagnis eingehen, eines Tages an einem eventuellen hoffähigen Zeichenmix teilzuhaben, auch das Risiko eingehen, steckenzubleiben (pleite zu gehen)....wodurch allerdings der Aktienkurs gegen 1 EURO gehen kann (aus dem imaginären Leitfaden für Existenzgründer, in: www.Stay-Cool-Stay-Rebel.com).
Die dargelegten Thesen werden nun diskutiert:
Die Trendforschung hat ein Legitimationsproblem. Diese Einsicht ist inzwischen auch in die Trendbüros selbst vorgedrungen, die sich nun umsehen müssen, wer noch ihre coolen Ausführungen zu irgendwelchen Phänomenen braucht. Warum das so ist, liegt auf der Hand: Trendforscher bezogen ihre analytischen Meisterleistungen in der Regel auf sich selbst, sie machten sich dabei selbst zum Trend (vgl. z.B. Markenkult von Horx, ein Buch, das vor Selbstgefälligkeiten nur so strotzt), anstatt die heiligen Marken zu preisen, von denen sie abhingen.
So hat sich heute selbst im Mainstream das Gefühl durchgesetzt, bei Trends handelt es sich um etwas Unechtes, Kurzfristiges, was in jedem Falle die nächste Jahreszeit/Kollektion nicht überdauern wird. Nein, den Trend setzt man sich nun selbst, jeder ist sein eigener Trend. Der Kampf um den Trend scheint vorüber (Liebl 2000, S. 7). Können sich also nun wieder alle auf solide Werteordnung einstellen, die auch noch für die Enkelkinder gültig sein wird?
Mitnichten. Zwar hat sich die Trendforschung durch den Zwang, permanente neue Trends erfinden zu müssen, früher oder später selbst überflüssig gemacht, doch ist damit das Konsumentenverlangen nach Differenz und Distinktionsgewinn (Baecker 2000, S. 17) nicht verschwunden. Viel eher lässt sich das Scheitern der Trendforschung darauf zurückführen, dass nicht erkannt wurde, dass sich Trends nicht aus Projektionen bestehender Verhältnisse in eine aufgepeppte Zukunft entwickeln, sondern sie sich zumeist aus gänzlichen Gegensätzen heraus bilden; aus Gegensätzen, die in der jeweiligen Gegenwart noch gar keiner Bewertung unterzogen worden sind und so kaum vorvollziehbar sind. Und wenn sie das doch sein sollen, muss zumindest eingestanden werden, dass Trends zwar faktisch planbar sind, aber der resultierende Erfolg mit einer anderen Zeichenkonstellation zweifellos genauso durchzusetzen wäre.
In der verkrampften Projektion von Zukunft auf die Jetztzeit liegt ein weiteres Problem der Trendexploration: Warum liegen die Zutaten für die Trends in der Zukunft und nicht in der Vergangenheit oder der Gegenwart? Tatbestände und Entwicklungen aus der Vergangenheit sind objektiv doch deutlicher nachvollziehbar als die nebulöse Zukunft. Die Antwort liegt in der Tatsache, dass die sozialen Bereiche, für die Trends vorrangig produziert werden sollen (also Konsumenten und Nicht-Konsumenten) genau den selben Zeichenfundus besitzen, den die Trendforscher vermeintlich besser kennen. In diesem Sinne wäre die Beschäftigung mit der Vergangenheit eine Reflektion, die mit den Träumen der anderen nicht übereinzustimmen scheint.
So durchschauen die Individuen schlicht und einfach die Resultate der Trendforschung (die sie ja in Form der Waren verkörpert sehen) als einen Mix aus bekannten Zeichensystemklassikern (Coca-Cola) und zumeist willkürlich applizierten Differenzpartikeln (3° C). Solche Zweit- oder Drittverwurstungsversuche (Cola bei 3°) müssen ja von den Trendleuten kommen, wer soll einen solchen Schwachsinn sonst erfinden? In der Tat lassen verzweifelte Markenanarchisierungsversuche oft keinen Zusammenhang zum Realen erkennen, was Konsumenten dann wirklich als inauthentische Inauthentizität erkennen und verwerfen.
Denn wenn Verbraucher den Marken deren Echtheit nicht abnehmen, wünschen sie, dass diese sich wenigstens bei ihrem zum Scheitern verurteilten Versuch, Authentizität vorzugeben, authentisch verhalten sollen. Marlboro beweist z.B. recht erfolgreich, dass es möglich ist, den Traum der Zigarette nach unendlicher Freiheit zu verwirklichen, indem die Marke bewiesen hat, größtmögliche Anstrengungen darauf zu verwenden, Abenteuerreisen in die verwegensten Ziele dieser Erde zu veranstalten (Marlboro Abenteuer-Reisen).
Obwohl Marlboro sicherlich nicht die ersehnte Freiheit realisieren wird, stellt die Marke in Form der Abenteuer-Reisen zumindest eine Arbeitsbasis zwischen Marke und Verbraucher her. Ganz anders sieht das indes aus, wenn die selbe Marke Marlboro als Sponsor und Organisator inszenierter Drum & Bass-Abende, die alle unter dem Motto „The Pulse of America“ veranstaltet werden, auftritt (vgl. Liebl 2000e, S. 1). Dann ist dies nämlich ein Beweis für den kulturellen Dilettantismus und den offensichtlichen Mangel an „authentischer Inauthentizität“ (Grossberg 1994, S. 13) seitens eines Vertreters der Ökonomie. Was Drum & Bass angeht, sind die USA nämlich ein Entwicklungsland, so dass Marlboro Schwierigkeiten damit hatte, überhaupt - und dann auch nur zweitklassige - DJs aus den USA zu bekommen, die aber ausschließlich britischen Drum & Bass spielen mussten, weil es keine Drum & Bass Platten aus den USA gibt.
Und schließlich und endlich sieht sich die Ökonomie doch wieder dem Vorwurf der Illegitimität ihrer Aktionen ausgesetzt, sie kann eben doch nur der bloße Warenlieferant und Hofnarr der Szenen und Subkulturen sein, bei denen sie doch verkrampft um Verständnis bittet. Jedenfalls fällt auf, dass es im Feld der Ökonomie immer wieder um die Frage der gelungenen Vermaterialisierung der Zeichenkosmen geht, während kulturelle Instanzen wie Theaterhäuser oder unabhängige Kinos immer mehr auf die Sympathien durch deren Konsumenten zählen können. Oder ist schon jemals die Frage aufgekommen, wie moralisch OK oder nicht OK das dissidente Treiben eines Theaterintendanten Frank Castorf oder eines Filmemachers Lars von Trier ist?
Die Antwort lautet: Nein. Denn während Trendscouts voraussetzen, dass die Zeichen von ihnen auf Tauglichkeit bewertet, dann verwertet oder verworfen werden dürfen, und sie davon ausgehen, dass ihren eigenen Zeichen (von denen sie denken, sie seien die besten) sich als richtig erweisen werden, respektiert kulturelles Treiben die Gleichheit der Ausgangspositionen zwischen den Bereichen Ökonomie und Kultur, und sie unterlässt vor allem die totalitäre Liquidation aller Werte und Interpretationsmöglichkeiten zwischen den beiden Polen richtig und falsch.
Indem die Kultur die komplexen bis paradoxen Konstellationen zwischen einem richtig und einem falsch erkennt und thematisiert, bleibt sie den tatsächlichen Mentalitäten der hochindividuellen selbstbestimmenden Differenzentrepreneure in deren Empfindungen und Vorstellungen näher als die in konkreten Ergebnissen interessierte Ökonomie, deren Mechanismen der Logik noch immer nach der alten Methode Problem – Problemerkenntnis – Analyse – Zielvorgabe – Ziel - Ziel erreicht - Feierabend zu arbeiten scheinen.
Beim Spagat Nutzen 1 Authentizität scheitert die Marktwirtschaft in ihren bisherigen materiell orientierten Aktionen auf dem Marktplatz der Zeichen und Ästhetiken an schierer Deplacierung. Der Unterschied zwischen einer Analyse von Trends und Moden im Rahmen der kapitalisierenden Nutzenmaximierung und einer Reflektion über Interessen und Repräsentationen als freier Disziplin liegt demnach in dem in den jeweiligen Bereichen festgefahrenen Verhältnis von Kultur und Kapitalismus.
So
amüsieren sich die Konsumenten weiterhin in den kulturellen Nischen, und die
coolen Zeichen lassen sich nur mit aller Anstrengung aus dem Theaterhaus in
das Imageprospekt des Unternehmens transferieren. Der Traum einer jeden
Jugendmarke vervollkommnet sich nach wie vor in den Sphären und Szenen, die
sich querstellen. Nur so kann Frank Castorf mit den Worten brillieren: „Das
Theater ist ein Königreich. Er kämpft wie ein Berserker um ein volles Haus -
und hat das jüngste Publikum in Deutschland“ (Castorf 2000, S. 1).
Wie es die Ökonomie dennoch schafft, Eintritt in die subversiven Räume der individuellen Kulturenmarmelade zu bekommen, und dabei sogar auf partnerschaftliche Kooperationen mit den Konsumenten hoffen kann, wurde bereits in Kapitel III D 4 angedeutet und wird sich detailliert in Kapitel IX B auflösen.
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„Weil Politik nicht mehr möglich ist, ist alles offen. Weil alles offen ist, ist alles möglich. Außer Politik.“ (Diederichsen 1996a, S. 110) |
Obwohl
sich Ästhetik nicht als Erfindung des postmodernen Zeichen-kapitalismus
offenbart – selbst der Barbar verspürt beim Tragen des dunkelroten Mantels
aus Samt einen Hauch von Königlichkeit -, hat sich mit dem Verschwinden der
politischen und existentiellen Sorgen eine Art Hochkonjunktur für die Ästhetik
entwickelt. So hat z.B. der Verfall eines antikapitalistischen Systems, wie
das des ehemaligen Ostblocks, welches in seiner Existenz und politisch-militärischen
Willensäußerung immer einen Gegenentwurf zum kapitalistisch-westlichen
Treiben bot, und für alle Beteiligten einen gehörigen Batzen an
existentieller Restnot darstellte, mit seiner Auflösung die ehemalige
westliche Nutzendoktrin hin zu einem immer mächtigeren, härteren und größeren
Warenarsenal irreal und absurd werden lassen. Es scheint im Nachhinein, als ob
quasi an einem einzigen Tag sämtliche bis dato gültigen Objektive auf den
Sperrmüll der Geschichte gebracht wurden und von da an neue Orientierungen
gefunden werden mussten.
Inzwischen gilt der kapitalistische Markt, der in ganz traditionellem Sinne die Reichen immer reicher macht und die Menge der Unbrauchbaren immer größer werden lässt, allgemein als unantastbar. Mehr noch, er gilt als Allheilmittel, welches selbst vormals politisch-solidarische Grundtatbestände einer demokratischen Gemeinschaft, wie z.B. die gesetzliche Altersrente, nun durch die finanziell-effizienzorientierte Bearbeitung gänzlich in Frage stellt. In diesem „zivilgesellschaftlichen Totalitarismus“ (Joachim Hirsch, in: Holert/Terkessidis 1996, S. 15) ist offenbar im sozialen Leben außer der individuellen Selbstverwandlung in einen „erfolgsadäquaten Apparat“ (Adorno/Horkheimer 1944, S. 134) kein Handlungsentwurf mehr vorgesehen. In der postmodernen Gesellschaft wird aber jegliche Kritik am kapitalistischen Prinzip deshalb schwierig, weil das Werte- und Klassensystem gesellschaftlicher Selbstbeschreibung kulturalisiert worden ist. „Was zuvor noch wirtschaftlich oder politisch interpretiert werden konnte, lässt sich jetzt nur noch durch die Brille der Kultur betrachten. ... Soziale Unterschiede gelten heute als konsumistische Stilprobleme, und soziale Auseinandersetzungen können nur noch als symbolische Kämpfe wahrgenommen werden.“ (Holert/Terkessidis 1996, S. 17).
Ehemalige Klassenkämpfe, wie z.B. die zwischen den Chefs in Nadelstreifen und den ausgebeuteten Arbeitern sind im Zuge der Verunternehmerung der Individuen inzwischen überflüssig geworden. An deren Stelle treten nun Gesellungsformen, die zumeist „frei gewählt, nicht exklusiv, meist ästhetisch motiviert und in der Regel nur von begrenzter Dauer sind“ (Liebl 2000c, S. 132). Die „Ästhetisierung in allen Lebensbereichen“ (Sedlack 2000, S. 109) schafft nun für alle Individuen Möglichkeiten der Distinktion und des Erlebens durch kulturelle Differenzierung. Alles wurde einem postmodernen Facelifting unterzogen: „die Plätze, die Fußgängerzonen, die Passagen, die Fassaden, nichts blieb vom Ästhetisierungs-Boom verschont“ (ebd.).
Auf dieser Ebene bedeutet Ästhetisierung soviel wie „Ereignisinszenierung zur Lustversorgung einer Freizeit- und Erlebnisgesellschaft, wobei (...) das Amüsement, der Genuss ohne Folgen - dominiert“ (Welsch 1993, S. 14), und „nötigenfalls wird die Inneneinrichtung die Möblierung der Seele komplettieren“ (ebd.). Durch die Vielfalt an ästhetisch zu den Individuen und deren jeweiligen Szenen besser oder schlechter funktionierenden Formen hat sich ein Wettbewerb um die coolen Zeichen entwickelt, der sich beispielsweise im „Kampf ums Logo“ oder im „Kampf um das richtige T-Shirt“ äußert (Liebl 2000c, S. 132).
Das sich permanent reproduzierende Suchen und Finden nach immer subversiveren Zeichen in den Mikro- und Makrokosmen der Kultur deutet sich am vielschichtigsten und offensichtlichsten in den sogenannten Trends an, die sich „gleichzeitig als Ausdruck von Vergemeinschaftung unter Bedingungen fortgeschrittener Individualisierung auffassen“ (Liebl 2000c, S. 133) lassen. Vor dem Hintergrund der beschriebenen „Betonung von Differenz“ (Mayer 1996, S. 153), die Franz Liebl im Hinsicht auf das Konkurrenzverhalten der Konsumenten und Szenen als „Style Wars“ bezeichnet, lassen sich Trends folglich als „Ausdruck der Krisenhaftigkeit des Kapitalismus“ (Liebl 2000c, S. 132) charakterisieren.
Das Phänomen Trend beweist sich also als probates Ausdrucksmittel für das Abfeiern als postmodernes Prinzip, den angenehmen Zustand darzustellen, dass man sich im postmodernen Konsumentenstadium in einer Gesellschaft ohne existentielle Nöte befindet. Wenn es in der Moderne darum ging, die Grundbedürfnisse nach Schutz und Frieden auf eine Spitze zu treiben (alte S-Klasse), geht es im postmodernen Sinn darum, zu feiern, dass es die Grundbedürfnisse nicht mehr gibt. Die Postmoderne stellt sich als die postmaterielle Epoche dar.
Die Existenz von Grundbedürfnissen zuzugeben wäre nur peinlich, die kulturelle Repräsentation ist an deren Stelle getreten:
Exkurs: Aufgabe: Vernimm von Deinem Bekannten: „Ich gehe in den Wald, Bäume fotografieren“, und beschreibe nun was in Dir vorgeht!
Zunächst wäre zu sagen, dass die Art der Rezeption dieses Satzes von der Persönlichkeit Deines Bekannten abhängt: Falls es sich bei ihm um einen Fotografen handelt, ist diese Aufgabe nutzlos, denn der Sinn des Satzes scheint klar: Der Bekannte geht dem nach, was seinen Beruf oder seine Passion ihm vorgibt. Falls es sich bei dem Bekannten aber nicht um einen Fotografen handelt, sondern um einen Jura-Studenten, der zum ersten Mal in seinem Leben in den Wald zum Fotografieren will, fängt nun der zweite Teil der Aufgabe an: Bilde zwei Fälle, und sei im ersten Fall ein Mitstudent der 70er Jahre, und sei im zweiten Falle ein Kommilitone im Jahr 2001. Was geht jeweils in Dir vor?
Im ersten Fall ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass Dich der Wunsch des Bekannten zum einen angenehm überraschen wird, und zum anderen, dass die Aussage in Dir Verständnis dafür wecken wird, dass der Bekannte sich nach natürlicher Umgebung, aufrichtiger Kontemplation, Ruhe und Passion sehnt. In der Aussage des Bekannten verbirgt sich sein Wunsch nach dem Wesentlichen im Leben, er möchte seine rudimentären Sehnsüchte befriedigen, und diese Herzenswünsche im besinnlichen Umgang mit der Natur für sich dokumentieren. In diesem Sinne verneint er die vorgegebenen Handlungsentwürfe der elterlichen eingeschlossenen Fabrik-arbeiterschaft, und rebelliert mit seiner Suche nach Freiheit gegen die bürgerlich entschiedenen Normen; er handelt also im traditionellen Sinn politisch.
Im zweiten Fall ist die Lage nicht so einfach: Zwar überrascht Dich auch hier die Aussage des Bekannten, sein Tun ist ganz und gar ungewöhnlich. Hier ist aber sehr viel wahrscheinlicher, dass Du seinen Wunsch als peinlich und kitschig dekodieren wirst. Du wirst vielleicht finden, dass der Bekannte wohl gerade seine romantische Phase hat. Gleichzeitig steht hier nicht im Vordergrund, ob und wann sich der Bekannte tatsächlich in den Wald zum Fotografieren begeben wird, sondern die Botschaft steckt in seiner Aussage. So weißt Du, dass er sich ein bestimmtes Persönlichkeitsbild verleihen will, oder ein bereits bestehendes Image aufpolieren möchte. Bist Du zudem eine Frau, ist es wahrscheinlich, dass Du weißt, dass Du in der Aussage des Bekannten seinen naturalistischen und einfühlsamen Charakter erkennen sollst. Ob der Bekannte nun tatsächlich irgendwann in den Wald zum Fotografieren geht, und damit seine Glaubwürdigkeit beweist, ist letzen Endes egal, denn der Bekannte stylt sich in seinen Distinktionsvorteil hinein, der in Zukunft sein einzigartiges Charisma erweitern soll, der ihn aber nach außen eventuell zum peinlichen Idioten werden lässt. Sein ideelles Fett kriegt er in jedem Fall von Dir und den anderen ab, bleibt er doch in seiner Existenz völlig konform und ungefährlich für jegliche Ordnungsinstanzen.
Wir fürchten uns vor jeglichem Wesentlichen, vor der Peinlichkeit des Natürlichen, vor dem Kitsch des Rudimentären, vor der Verbindlichkeit des Politischen. Und stürzen uns in das Abfeiern unseres Lebenszustandes über der Grundversorgung, und ähneln Kriegsflüchtlingskindern, die froh darüber sind, dass sie sorgenfrei leben und keine materiellen Nöte erleben müssen.
Trends sind unmittelbar im Pakt mit der Leugnung von materiellen Untergrenzen. Die Diskussion über Trends ist also immer eine Diskussion der Beteiligten in der 1. Welt über den Wohlstand in der 1. Welt – die Reichen feiern sich selbst. Die Einbeziehung von materiellen Missständen, Hunger und Grundbedürfnissen wäre tödlich für die Produktion und Konsumtion der styles, tribes & extremities. Auch deshalb sind Reflektionen über Trends, Ästhetiken und Zeichen immer auch Gedanken über den Kapitalismus, der das System der globalen Ungleichheiten aufrecht erhält. Denn, wie Johan Galtung sagt, ist „jeder Narr in der Lage, ein ökonomisches System zu schaffen, in dem reiche Leute teure Güter kaufen können“. „Was jedoch Können und Talent erfordert, ist eine Ökonomie zu schaffen, in der die Grundbedürfnisse von (fast) allen befriedigt werden, ... und in der auch die mentalen und spirituellen Bedürfnisse nach Freiheit und Identität befriedigt werden“ (Galtung 2000, S. 44).
Sub-
und Gegenkultur als unendliche Ressource von subversiven, sprich
unkontrollierten Zeichen, ist seit der Entstehung von Popkultur unmittelbar
mit dem Ideal der Jugend und Jugendlichkeit verknüpft. Zur Formierung der
Popmusik zu einer Schlüsselindustrie haben die Jugendlichen selbst durch ihre
Verneinung einer streng geordneten Bürgerlichkeit und der Fabrik als
Einschließungsregime beigetragen. Und „wenn Elvis mit den Hüften
wackelte, dann forderte er zur Flucht aus dem Gefängnis des reglementierten
Alltagslebens auf“ (Holert/Terkessidis 1996, S. 13). Mit Hilfe
kultureller Zeichen wurde zum ersten Mal der Wunsch nach Auflehnung gegen die
Kulturindustrie laut, die vorher nur dazu gedient hatte, „die Seele unter
Kontrolle zu bringen“ (Terkessidis 1996, S. 117). Die Funktion von
Popmusik als einer Rebellion gegen gesellschaftliche Normen war von daher
schon immer eingebunden in den Mythos der jugendlichen Aufruhr. Dass dieser
Mythos der Auflehnung und der Jugendlichkeit von der Kulturindustrie kooptiert
und so lange wie möglich am Leben erhalten wurde, wurde für die
Konsumrebellen der Generation X erst später klar. Spätestens aber seitdem
der Rebell zum natürlichen und zentralen Bild auch der kontrollierten
Massenindustrien geworden ist, wird es für die Konsumenten zu immer
schwierigeren Aufgaben, Echtheit von Falschheit zu unterscheiden. Inzwischen
stellt sich jedoch die Frage nach Authentizität selbst für die subalternen
Szenen nicht mehr: alles kann echt sein, solange es auf die richtigen
Dekodierexperten trifft.
Heute
arbeitet fast jede Form von Werbung mit den jugendlichen und dissidenten
Idealen einer Gesellschaft, die den Mangel nicht kennt, und die so anstelle
der früheren Leitbilder Arbeit, Karriere, Besitz, Familie und Eigenheim, ihre
neuen Werte ins Zentrum ihres konsumistischen Lebens stellt: statt Sparsamkeit
Geldausgeben, statt Genügsamkeit Stil, statt Dauerhaftigkeit Wegwerfprodukte,
statt Aufschub von Bedürfnissen deren schnelle Befriedigung. Dabei unterschlägt
die Kooperation von Konsumenten und Industrie die Tatsache, dass es den
politisch rebellischen Gegenentwurf der vergangenen Epochen schon lange nicht
mehr gibt. Die neue Ordnung stellt heute eine Homogenität an Lebensmodellen
und Handlungsentwürfen dar, „die Differenzen als Einheit inszeniert“
(Gurk 1996, S. 35). Obwohl es die Notwendigkeit eines James Dean als einem rebel
without a cause nicht mehr gibt, verarbeitet die Kultur- und
Werbeindustrie dennoch alles, was Identität durch Differenz verspricht.
Gleichzeitig
hat die massenmediale Abschaffung jeglicher Machtwirkungen, die an
elitistisches Wissen gekoppelt sind, die Konsumenten demokratisiert, so dass
sich nun z.B. im Fernsehen die Erlebnisgemeinschaft Fernsehstation und
Zuschauer gegenseitig in einem permanenten „kulturzerstörerischen
kulturellen Konformismus“ (Bourdieu 1998, S. 77), der es locker mit dem
nervösen aber dennoch statischen Zusammenspiel der Beteiligten in Sartres Geschlossene
Gesellschaft aufnehmen kann, immer intensivere und identischere
Differenzkonstrukte zuspielt, und dadurch dem anderen immer seine
Homogenität und Loyalität beweist. „Jeder beobachtet jeden“,
und „jede Innovation verwandelt sich sofort in Routine“, wodurch
sich die Kristallisierung wirklicher Formen von „Selbstüberschreitung
und Antithese“ (Schulze 1999, S. 72), und damit von Differenzen, die
auch jenseits von Selbstzuschreibungen vertretbar sind, schwierig gestalten.
Auf der einen Seite recyceln sich die Systeme somit ständig selbst, „die
Medien faszinieren und langweilen deshalb gleichzeitig“ (Schulze 1999,
S. 73), auf der anderen Seite stellt sich die Frage, inwiefern in diesem
geschlossenen Kontrollmechanismus die angebliche Demokratie für die
Individuen/Zuschauer tatsächlich Frei- und Gestaltungsräume bietet. Besitzen
die Thesen von Adorno und Horkheimer also immer noch dahingehend Gültigkeit,
dass die „kulturindustrielle Massenproduktion das Supplement eines
autoritären Fürsorgeregimes darstellt“ (Adorno/Horkheimer 1944, S.
134)? Oder kann die Kulturindustrie zwangsläufig nicht wirklich subversive
Zeichen herstellen, weil sie sich ja damit selbst gefährden würde? Ist das
faszinierendste, was die Kulturökonomie zustande bringt also eine
systemkonforme anschlussfähige Zeichenproduktion, die sich zwar neuartig
darstellt, jedoch hinreichende Verbindung zu bisher Bekanntem zulässt, was
dem aus der Trendforschung geläufigen MAYA-Prinzip (Most Advanced Yet
Acceptable) (Liebl 2000c, S. 152) zur Produkterfolgsoptimierung durch
entsprechendes Marketing entspricht? Solange die Beteiligten im sozialen
System sich zu wohl mit der ihnen zugedachten Rolle fühlen, und nicht bereit
sind, diese Rolle aufzugeben, scheint zumindest für den kulturellen
Mainstream die Erfindung subversiven und damit interessanten Zeichenmaterials
nicht möglich.
Auch
für vermeintlich rebellische Jugendkulturen entsprechen dann die von ihnen
produzierten und konsumierten Zeichen immer noch der unproblematischen
Existenz in einer „Gesellschaft der Gesellschaft“ (Niklas Luhmann
1987, S. 241). „Mit der Flucht aus dem Alltag, welche die Kulturindustrie
in allen ihren Zweigen zu besorgen verspricht, ist es bestellt wie mit der
Entführung der Tochter im amerikanischen Witzblatt: Der Vater selbst hält im
Dunkeln die Leiter. Kulturindustrie bietet als Paradies denselben Alltag
wieder an“ (Adorno/Horkheimer 1944, S. 140).
Auflehnungskämpfe der Jugendlichen gegen die elterlichen und bürgerlichen Kontrollsysteme gestalten sich heute als Tendenzen zu anderen Identitäten unter gleichen ideologischen Bedingungen. Während die Gegenkulturen der 70er Jahre explizit eine politische Gegenposition zu der bürgerlichen Vorstellung, und damit auch eine andere Idee einer korrekten Ästhetik mitbrachten (die allerdings immer zweitrangig blieb), drehen sich heute die Anstrengungen der selbsternannten Subkulturen nur um Distinktionskämpfe.
Das vormals Politische ist gänzlich verschwunden, das Ästhetische ist an dessen Stelle getreten und selbst zum Hauptinteresse geworden. Im Kampf um Ästhetiken wird also heute im Unterschied zu früher auf die bereits vorhandene bürgerliche und ökonomische Infrastruktur gesetzt; angeblich Subkulturelles bleibt damit in seiner Zeichenproduktion immer einverstanden mit den Werten der Kulturindustrie.
Minderheiten werden selbst zum Mainstream (vgl. Holert/Terkessidis 1996), das System der Zeichen besteht nur noch aus der „alles vereinnahmenden und vereinheitlichenden Kulturindustrie“ (Adorno/Horkheimer 1944, S. 118), vor der Adorno schon gewarnt hat; allerdings mit dem Unterschied, dass Adornos Konformitätsthese sich heute auf einem höheren Level bestätigt, nämlich indem sich das ganze als eine Ordnung aus unendlichen Mikrokosmen darstellt, so dass die Festsetzung von Gegenbegriffen und subversiven Handlungsentwürfen in den Szenekosmen in Form von Szenekämpfen verhaftet bleibt.
Das
Politische bleibt unter sich, die Beteiligten greifen sich selbst an, indem
sie sich permanent kontrollieren, stylen und doublechecken. So lässt es die
massenmediale Gesellschaft nicht zu einer vernehmbaren Klage eines
vermeintlichen Dissidenten kommen, ohne dass dieser sich in seinem Akt der Empörung
auch gleichzeitig mit ihr aussöhnt. Dissidentes Verhalten – außer in Form
von Verbrechen und Gewalt -, fügt sich in den Trend der Mainstreams ein.
Löst man sich vom Status und den Hierarchien, erfährt das Erlebnis Besitz einen Paradigmenwechsel vom materiell Okkupistischen zum visuell Ideologischen, das es jedem ermöglicht Dinge, Menschen und Situationen zu genießen und somit mental für sich zu beanspruchen. Steht der Besitz jedem frei zur Verfügung, der Augen, Mund, Nase und Ohren hat, handelt es sich demnach um einen in seiner grundsätzlichen Art demokratischen Prozess, wenn man so will um eine sozialistische Idee, der dem Kapitalisten den Vorteil des Besitzes (der in einer auf materiellen Besitz getrimmten Gesellschaft ja ohne Zweifel vorliegt) raubt, ja den Kapitalisten eventuell bloßstellt. Besitz im materiellen Sinn wird zu etwas Archaischem, das irgendwo beim Übergang von der letzten Generation zu der jetzigen steckengeblieben ist. Übrig bleibt nur der Komfort des Materiellen. Wer den ständigen Wechsel der Situationen und der Ideologien zu seinem Steckenpferd, zum subjektiven Imperativ macht, hat zwei Wahlmöglichkeiten. Erstens, die immer neuen Bedürfnisse und Wünsche, die durch den permanenten Identitäts- und Standortwechsel entstehen, zu erfüllen. Dies setzt die Investition von Zeit und Geld in die Erfüllung der Wünsche voraus, was wiederum die beiden notwendigen Bestandteile Zeit und Geld zu den Imperativen des Ich macht. Die zweite Möglichkeit ist sicherlich die bisher weniger reflektierte und in Anspruch genommene. Hier wird das bisher normative Diktat der Bedürfnisse geändert, indem schlicht das Bedürfnis selbst in Frage gestellt und als Variable gesetzt wird. Versteht man also das Bedürfnis als den Besitz, als den Wunsch nach den Dingen, geht es nun darum, die Eigenschaften des Besitzes zu verändern. Besitz als ein nicht-materialistischer sondern ideeller Bestand an Möglichkeiten ermöglicht dann die Erfüllung der Bedürfnisse auf emotionale virtuelle Art und Weise. We all own the money if we see and feel it. Diese zweite Möglichkeit wird allerdings nur verstanden, wenn ein Paradigmen-wechsel stattfindet, der es ermöglicht, vor allem aus der Popmusik und der Mode bekannte Kulturtechniken (Kopie, Sampling, Remix, Bricolage, Cross-Over) gesellschaftlich relevant zu machen.
Derlei Entwicklungen, die zweifelsohne auf den Kapitalismus als monetäres und materielles System verzichten können, haben sich allerdings in der Vergangenheit als inkompatibel zum marktwirtschaftlichen System erwiesen. Phänomene, wie z.B. der bisher im Internet frei zugängliche Musikkatalog Napster, entsagen in ihrer Aussage dem ökonomischen Prinzip. Sie stellen dafür eine eigene ökonomische Gesetzmäßigkeit an Zeichen und Symbolen her, die mit der Logik der Konsumenten anschlussfähig ist, und die in ihrer Intensität an hyperschneller Zeichenkapitalisierung den beleidigten Unter-nehmen zeigt, welch immenses Potential in autonom individualistischen Handlungen steckt. Firmen wie Sony oder Ariola, die sich von ihrem ökonomisch geprägten Weltbild nicht lösen können, haben nun die leidige Aufgabe, den potentiellen Käufern ihrer Produkte darzulegen, dass es cool ist, 30 DM für eine CD auszugeben, es aber rechtlich gesehen illegal ist, sich dieselbe Musik frei aus dem Netz herunterzuladen. Dass der Reiz des Kaufs einer CD in der Transaktion Geld gegen Ware an einer anonymen Media- oder Pro-Markt Kasse liegt, muss aber den konsumierenden Schlingeln erst noch gezeigt werden. Es gibt einen freien Willen, der den freien Märkten an Attraktivität überlegen ist. Während Konsumenten Märkte am liebsten als herausfordernde, vielfältige, extreme und sogar illegale Orte sehen, beweist sich die Ökonomie mit den gleichgültigen Einkaufsmonstren in Industrie-gebieten ihre eigene Unfähigkeit, die Bedürfnisse von Menschen zu respektieren. Den interessanten Kunden haben die Unternehmen bisher zumeist angeboten, ihre Konsumfreiheit in den „Einschließungsmilieus“ (Gilles Deleuze 1993, S. 188) auszuleben, während es den smarten Shoppern in erster Linie darum geht, ihre Freiheit beim Konsumieren selbst zu genießen. Das eigentliche Produkt, welches die vermeintliche Freiheit nach dem Kauf betonen soll, ist in Wirklichkeit uninteressant. Der Kapitalismus muss sich von der physischen Materialität (Eigentum) in Richtung des ideellen Vermögens hinwenden, wo doch das starre materielle Kapital der Ökonomie im Zusammen-spiel mit den individuell zeitspezifischen Bedürfnissen der Kunden permanent ausgetrickst wird. Man kann sogar noch einen Punkt weiter gehen und behaupten, daß im sogenannten "kulturellen Kapitalismus" (Zielcke 2000) der Konsum von materiellem Besitz überhaupt nicht mehr nötig ist. Wer braucht dann noch den Warenverkehr?
Es soll nun
eine Annäherung an das phänomenale Individuum geschehen, und es sollen die
Gründe für die Paradoxien des menschlichen Handelns untersucht werden, auf
die man zwangsläufig stößt, wenn man sich mit Differenz und Homogenität,
mit Avantgarde und Ramsch beschäftigt und dabei merkt, dass sich ja alles
ineinander auflöst. Sind Pop, Kapitalismus und Kultur in einem unguten
Sinn zu rechtsfreien Räumen geworden, in denen Bedrohungen und Irritationen
nicht mehr zu trennen sind? Kann denn mal endlich jemand die Images,
Botschaften und Träume unter Kontrolle bringen? Kann denn Liebe Sünde sein?
(......frei nach und im Sinne von Michael Douglas in Falling Down).
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„Im
klimatisierten Auto multikulturelle Radioprogramme zu genießen, ist
eine Sache. In der U-Bahn oder im Bus umgeben zu sein von Menschen,
deren Sprache man nicht versteht, das ist die andere.“ (Johannes Rau, Berliner Rede, Mai 2000, in: Holert 2000, S. 24) |
Der feuilletonistische Chic hat die Zeichen der Zeit erkannt und sieht in den unkontrollierbaren kulturellen Symboliken der Jugend- und Gegenkulturen Gefahren und Uneindeutigkeiten, ohne zu wissen, wovon er spricht. So war vor kurzem in der Süddeutschen Zeitung zu lesen, in den USA entwickle sich zwischen schwarzem Hip-Hop und Country eine neue rechte Popkultur. Sogar die Cowgirl-Inszenierung auf dem Cover von Madonnas neuem Album wird zum Indiz für den vermeintlichen Rechtsruck in der Welt der jugendlichen und erwachsenen Pop-Idole. Der Übergriff der rechtsradikalen Schlange auf die Popkonsumenten wäre laut Autor Adrian Kreye der nächste Schritt, schließlich produzieren selbst die gefährlichen Bands aus der rechten Szene „teilweise wirklich gute Musik......die eine magnetische Wirkung auf junge Zuhörer hat“ (Kreye 2000).
Der
kulturelle Mainstream sieht Gefahren in der unkontrollierten Welt der
subversiven Zeichen und Ästhetiken und entspricht so den Unternehmen aus der
Marktwirtschaft, die sich ebenfalls gern in der lamentierenden Rolle sehen,
die es ihnen unmöglich macht, sich mit neuen Ideen und kulturellen Strömungen
auseinander zu setzen. Immer wenn Botschaften und Images nicht vollkommen
kontrolliert werden können, gerät für die Wirtschaft und die Hochkultur
etwas aus den Fugen. Die Ökonomie stellt dabei mehr zur Schau, dass sie mit
den kulturell subversiven Zeichen nicht umzugehen weiß, als dass ihre
Analysen tatsächlichen ästhetischen Entwicklungen entsprechen, was vor allem
die Zeichenkonsumenten freut, die sich weiter auf unerforschten, rebellischen
Feldern bewegen dürfen.
Es
wird deutlich, dass die bürgerlichen Denkstrukturen der Marktwirtschaft und
des Feuilletons zwar der Beschreibung von Trends gerecht werden können, nicht
aber der Beschreibung kultursemiotischer Phänomene. Denn Madonnas Westernlook
ist bestimmt kein Zeichen für den Trend zum Rechtsruck,
sondern Madonna nutzt vorhandene kulturelle Ressourcen, um sich selbst
in einer Zeichenperformance neu zu erfinden. Gefährlich oder rechts
wird das ganze nur, wenn bestimmte Stigmata aus dem Zusammenhang gerissen
werden. Auf diese Weise verflacht aber, wie Tom Holert anmerkt, „das
Epitheton „rechts“ zu einer analytisch bedeutungslosen Kategorie“ (Holert
2000, S. 25).
Kultur
und Mainstream kommen also in das Dilemma, zwischen wünschenswerter und zu
verurteilender Uneindeutigkeit zu unterscheiden. Die kapitalistische Ökonomie
der Unternehmen und Kulturproduzenten fordert auf der einen Seite soviel
Differenz, Nischen, Marktlücken, Ästhetisierung wie möglich. Die kulturelle
und ordnungstechnische Ökonomie der Unternehmen und Kulturproduzenten fragt
sich auf der anderen Seite: Wie viele coole Zeichen und Ambivalenzen sind in
Ordnung, wie viel Eindeutigkeit und wie viel unkontrolliert unbiologischer
Anbau von Kultur ist noch auszuhalten, damit die Leitkultur in
ihrer Substanz nicht gefährdet wird?
Wenn
es darum geht, dass eine von der Marktwirtschaft lancierte gesellschaftlich
relevante Entwicklung stattfindet, die in ihrer massenhaften Auswirkung tatsächlich
einer Art Leitkultur entspricht, scheint dies niemanden zu stören.
Handys beispielsweise, haben Einzug in alle Schichten und Klassen gehalten und
haben sich langsam jeglichen Kategorisierungen entzogen. Nachdem
sie ehedem mit elitären status- und kommunikationssüchtigen Menschen in
Verbindung gebracht wurden, darf sie inzwischen jeder besitzen. Handys
als die Verkörperung der Illusion um eine soundsoartige Zukunft sind nun von
Grund auf demokratisch und in ihrem
integrativen Kontext unpolitisch. Sie überwinden quasi alle noch bestehenden
Hierarchien aus der materiellen Zeit: Reduce to the max.
Das
Handy, als Abfall für alle ist Sinnbild für die Demokratisierung der
Technik; gemacht von der Gesellschaft für die Gesellschaft; jeder
kontrolliert jeden. Bereit und immer erreichbar für potentielle Aussichten,
stehen alle in Verbindung mit der chancenreichen Zukunft. Die Illusion des in-der-Zukunft-gebraucht-werdens
kann man als Pre-Paid Card immer wieder nachkaufen, oder sich - ganz
ohne Zweifel - in Form eines 24 Monate dauernden Vertragsverhältnisses
sichern.
Das
Neue wird als das Ultimative publiziert, immer mit der Einschränkung, dass
das neue Neue dann das ultimative Neue ist, wenn dieses das dann vormals Neue
abgelöst hat. So
in etwa funktioniert gesetzmäßig jeder Zyklus einer technischen Innovation
im System der Waren. Mit jeder neuen Ware entsteht eine tendenziell qualitativ
bessere Ware, die den Wert der alten Ware mindert. Eventuell kann die
technische Qualität einer Ware nicht mehr gesteigert werden und die Ware ist
generell ein ganzes Menschenleben lang nutzbar. Dann ist es für die Ökonomie
nötig, die Produktion der Ware auf so ein Volumen zu drosseln, dass gerade
noch alle Nachfrager bedient werden, die einen neuen Hausstand gründen oder
die alte Ware aus Versehen oder vorsätzlich zerstört haben, und so eine neue
benötigen. Langfristig hat in einem solchen System (welches im übrigen wohl
als ökologisch perfekt zu bezeichnen wäre), die kapitalistische Ökonomie
nichts mehr zu tun und alle haben nur noch Freizeit.
So
ist es für die kapitalistische Arbeits-, Lach- und Schießgesellschaft
praktisch, dass es ein Volumen an Warenkonsumtion gibt, welches den oben
beschriebenen Zustand erheblich übersteigt. Um die florierenden Geschäfte zu
ermöglichen, hat man das tief menschliche Bedürfnis nach Gesprächen, Träumen
und Gemeinschaft in die Ökonomie übertragen und es fortan Kommunikation genannt. Ihr kommt in dem aktuellen Produktions- und
Konsumtionszustand der 1sten Welt, der einer Art kollektiven Warenbulimie ähnelt,
die entscheidende Rolle zu. Indem den Menschen mittels Symbolzuschreibungen
und kulturellen Zeichen verdeutlicht wird, dass die Waren mehr
wert sind, als sie es ureigentlich waren, eröffnen sich
dem Publikum nun unendliche Bedürfnisvarianten, die den genauso unendlichen
Warendifferenzierungen entsprechen. Es kommt nur noch darauf an, dass die Träume
und die Erfüllung der Träume zur selben Zeit am selben Ort zusammentreffen.
Wir
haben in den letzten Kapiteln herausgefunden, dass es die Kultur bzw. - im
Kontext von These und Antithese, Mainstream und Differenz – die Subkultur
ermöglicht, eine in der jeweiligen Gegenwart als unglaublich erscheinende
Vielfalt an kulturellen Zeichen zu entfalten. Eine kulturelle Vielfalt, die
letzen Endes von der Marktwirtschaft, die bisher aufgrund ihrer thematischen
Beschränktheit unfähig zur Coolness
war, in einer quasi Imitation übernommen wird. Symbolische Innovationen der
Marktwirtschaft entsprechen den zunächst dissidenten Zeichen der kulturellen
Nischen. Beide kannibalisieren sich und ihr jeweils kurzfristiges
Zeichenmonopol, indem sie sich mitten in das Getümmel der Distinktionskämpfe
stürzen, so dass die dabei entstandenen Waren zwangsläufig binnen kurzer
Zeit für einen um die Hälfte reduzierten Preis im Schlussverkauf angeboten
werden, wodurch dann auch ignorante Banausen wie Angela Merkel zugreifen können.
Kulturelle
Zeichen der Marktwirtschaft zu verweigern, hieße Trends zu eliminieren. Doch
schon wenn man sich auf die Straße wagt, befindet man sich mitten in der
Marktwirtschaft. Alles Private verharrt jedoch so sehr in sich, dass es gar
nicht zum kulturellen Diskurs, geschweige denn zu gesellschaftlicher Relevanz
kommen kann. So sind inzwischen Subkulturen, Individuen, Mainstreams, Szenen
und Ökonomien aus der Kommunikation untereinander in eine Symbiose ineinander
übergegangen. Wie eine Gesellschaft aussähe, die auf die Produktion und
Konsumtion kultureller Zeichen verzichtet, wird hier nicht eingehend behandelt
und soll daher nur kurz angedeutet werden: Man stelle sich vor, alle Menschen
auf den Straßen tragen orangefarbene Anzüge (weil orange am praktischsten in
der Nacht ist, da man damit am besten gesehen wird) und beim Bummeln auf der
Autobahn gibt es aber auch gar nichts zu begaffen, dadurch dass alle gleich
aussehen. Wäre dies das Ende jeglicher Kommunikation, oder würden dann die
Menschen aus der Unmöglichkeit der Möglichkeiten erst anfangen miteinander
zu reden?
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„Jetzt ist jeder frei, aber
innerhalb des eigenen Gefängnisses, des Gefängnisses, das er aus
freien Stücken selbst erbaut.“ (Maurice Blanchot, in: Baumann 1997, S. 186) |
Die Beschäftigung mit dem kulturellen Kapitalismus in diesem Aufsatz zeigt, wie sich die gesellschaftliche Ordnung selbst in verschiedene Milieus und Szenen aufgeteilt hat. So präsentiert sich die Tendenz zur Verszenung in den Mikromilieus des kulturellen und ästhetischen Bereichs, und auch die Politik hat sich zu einer straffen und klaren Organisationsform entwickelt, die der eines Unternehmens ähnelt. Kapitel VIII C wird zeigen, dass sich auch die Medien in selbstzuschreibenden Milieus finden, in denen das Publikum indirekt die Rolle eines Mäzens spielt, der letztlich das Treiben der Medien finanziert.
Nun, da alle Aufseher und Ordnungsinstanzen verschwunden sind, und sich jeder nur noch um seinen Bereich kümmert, ist das Individuum sein eigener Wächter und Lehrer. Das Ich selbst ist zu einem Mikrokosmos mutiert. Die Deregulierung der Zeit und die Demokratisierung der Möglichkeiten zeigen allen, dass alle nur noch für niemanden und somit Ich nur für mich selbst Verantwortung trage. Und da die Kategorisierung und die Ästhetisierung dieses diffusen Ich zur spannenden Lebensbeschäftigung wurde, sehen sich alle mit einem heiklen Dauerthema konfrontiert: Wer bin ich?
Wer heute einen Job will, der muss zu sich selbst gefunden haben und über seine Fähigkeiten und Möglichkeiten genau Bescheid wissen. Ansonsten, so sind sich Personalleiter wie auch High- und Low-Potentials einig, hat man keinen Spaß bei der Arbeit, und das mindert die Leistung immens. In der ehemals umgekehrten Freizeitwelt ist es genau so: Wer in der Freizeit nicht genießen kann, dem fehlt es an Persönlichkeit und Herausforderung, der ist ein Warmduscher. Allerdings ist es nicht einfach, die Persönlichkeit bei der Stange zu halten bzw. den Mangel an Persönlichkeit zu überwinden. Schließlich handelt es sich bei der Identitätsbildung nicht um einen akademischen Grad, der einmal erlangt, einem nicht mehr abgenommen werden kann. Ganz im Gegenteil wird neben dem starken Selbst vor allem Flexibilität erwartet; und ein Teil dieser Flexibilität ist es, in einem permanenten Selbstnachweis das „auf der Höhe sein“ immer wieder neu zu beweisen. Die Fähigkeit, die hochempfindliche Persönlichkeit sowie den eigenen Körper zu kennen, heißt diesen in ein Stadium stilistischer Dauerekstase zu bringen.
„Der postmoderne Körper ist vor allem ein Empfänger von Empfindungen, er trinkt und verdaut Erfahrungen; die Fähigkeit, stimuliert zu werden, macht ihn zum Werkzeug der Lust“ (Baumann 1997, S. 188). Diese Lust entsteht erst durch das Wissen, dass die anderen bei dieser Stimulierung aufhorchen, dass die anderen dieser Lust genauso erliegen. So wird die Lust an der eigenen Persönlichkeit zum Ideal des Innenlebens wie auch zum Paradigma für die ganze Gesellschaft. Hätten wir auf nichts Lust, wüssten wir nicht, wozu wir da sind (vgl. Schulze 1999, S. 85-88). Die kulturellen Zeichen und die ästhetischen Erlebnisse unserer Zeit benötigen keinen ideellen oder gar politischen Mehrwert; Spaß macht Spaß macht Spaß macht Spaß.
Die Konsum- und Zeichensphäre ist zum ausgezeichneten Schauplatz der Identitätsbildung geworden. Dagegen scheint die Investition in irgendwelche Anstrengungen oder Verantwortungen, die nicht unmittelbar an die eigene Lust und an die Persönlichkeitserweiterung gekoppelt sind, eine Fehlinvestition zu sein. Investiert wird nur noch in das ideelle Privateigentum, was eigentlich eine logische Fortsetzung des Investierens in den materiellen Haus- und Besitzstand ist. So ist die Frage, die man ständig sich selbst und an die anderen stellt: „Wie kann ich etwas Besonderes werden, wie kann ich meinen eigenen Stil entwickeln, wie kann ich mich unterscheiden?“ (Terkessidis 1999, S. 1). Den kulturellen Zeichen eingebettet in die kapitalistische Struktur der Waren kommt die Rolle eines Fitness-Studios zu, welches seine Insassen ebenfalls einem permanenten Vergleich und einem Ekstase-Check aussetzt. Man hält sich sorgfältig und mühsam an das Rezept der Muskel- bzw. Identitätserweiterung, und doch, welche Verbesserung auch folgt, sie bleibt notwendig hinter dem Versprochenen und den Idealen zurück. Und wenn es gar keine Steigerung mehr gibt, folgt die tiefe Depression, weil es nichts mehr gibt, wovon noch geträumt werden könnte.
Hierin schließt sich wieder der Kreis zwischen der kapitalistischen Produktions- und Fortschrittsmaximierung als einem autarken ideellen System und der Selbstverwirklichungspolitik der Menschen. Beide bemühen sich, ihren Erfolg bzw. die Stimulation ihrer ästhetischen Empfindungen dadurch zu optimieren, indem sie dem Prinzip der Nutzenmaximierung und Steigerung folgen, womit sie indirekt versuchen, den Anschein einer Krise bzw. einer Depression zu verdrängen. Und in ihrem Wahn zwischen Selbstversprechungen und Ekstasen münden sie ebenda, wo sie eigentlich nie hinwollten: in der Krise oder in der Depression.
Der
Kapitalismus materialisiert die Zeichen, - die schlechten wie auch die guten,
das weiß er selbst oft nicht so genau -, denn dort stecken die Superstarträume
und die Geschichten aus dem Leben. Die Warenwelt organisiert die Differenz und
träumt doch vom Konsumenten, der allen gleich ist. Sie arrangiert ein
dissidentes Feld an Interessantem, an Subversivem, an Abweichlertum und ist
dennoch auf die Homogenität und die Stabilität des Systems angewiesen. Damit
gleicht der Kapitalismus der Politik, die trotz aller Umformung und Innovation
doch nur restaurativ wirken will, da mit den politischen Strukturen auch deren
Machthaber zusammenstecken. Denn ändert sich das System, ändern sich auch
dessen Machthaber.
Pop formt die Superstars, Pop mit der ökonomischen Ideologie vermischt, gleicht der Politik der Restauration: es gilt die gegenwärtigen Zustände zu bewahren, weil dann die Machthaber an der gleichen Stelle bleiben. Den Mächtigen kann es daher nie zu langsam mit Veränderungen gehen, und wenn es doch Veränderungen gibt, dann sollen sie zumindest von ihnen selbst ausgehen. Die Funktion von Pop- und Superstars ist es aber, die imaginäre Masse mit den interessanten Vorstellungen zu beglücken und vorzutäuschen, dass es ein attraktives Modell gibt, welches interessant ist. Eigentlich ist dieses Modell aber kein Modell, sondern ein Faktum und eine Doktrin, weil es von denen lanciert wird, die das System genau so beibehalten wollen. Superstars entsprechen daher der reaktionären, restaurativen Wertevorstellung von den jeweiligen Machthabern, die damit ihre eigene Position absichern und verstärken. Es scheint, dass diese Art der Argumentation allzu salopp daherkommt. Sie entspricht jedoch genau der allgemein an den Tag gelegten Naivität seitens der Politik, die jeweiligen aktuellen Popstars gut zu finden, sowie seitens der Popstars, die immer auch Fans von den jeweiligen Präsidenten sind. Westernhagen mochte Helmut Kohl, Bill Clinton hörte Bruce Springsteen, Tony Blair feierte den Handschlag mit Oasis, Grönemeyer liebte Lafontaine, Lafontaine mochte Maffay, Reagan sah am liebsten seinen eigenen Film, und Britney sagt „Ooops“ wenn in Texas die 112te Todesstrafe verhängt wird. Ihr Partner George W. meint dazu nur: „I did it again“. Alles wird immer gut.
Je mehr der mit Jugendlichkeit gekoppelte Konsumismus ins Zentrum der Gesellschaft rückt, desto mehr wird die ganze Gesellschaft durch ihren Konsum jugendlich. Alle sehnen sich heute nach jugendlichem Lebensstil, jugendlichem Aussehen und nach der Flexibilität der Jugend. Und so wird Jugend für alle zu einem Instrument der permanenten Begutachtung: Sehe ich heute gut genug aus? Bin ich sportlich genug? Bin ich schon zu alt, um meinen Partner zu wechseln? Macht die neue Frisur mich jünger?
Der Markt der Jugendlichen entwickelt sich für die Unternehmen in einen Markt für alle. Vermeintlich für die Jugend gemachte Produkte (wie z.B. die A-Klasse) werden von den Jugendlichen ignoriert; stattdessen bedienen sich die älteren Generationen der jugendlichen Zeichen und verjüngen sich in frischzellenspendenden Einkaufstouren. Selten zuvor war die Schönheitsindustrie ein dermaßen mächtiger Agent in der Teenkultur, die wiederum immer stärker als Zeichenlieferant für die Unternehmen fungiert. Nirgendwo wie in der weiblichen Popkultur wird deutlicher, wie sich die Superstars den industriellen Produkten angleichen, ja sie selbst zu Industrieprodukten geworden sind.
Drehte sich noch in den 70er Jahren die weibliche Körperpolitik um die Befreiung vom Make-up der Hausfrau-Plüschhäschen-Figur, und in den 80er Jahren um die Rückkehr zur natürlichen Weiblichkeit, dominieren heutige Weiblichkeitskonzepte als klinisch reine Simulationen der individuellen Schönheitsideale. Der Mythos der Demokratisierung des schönen Körpers, angeblich in jederfraus Reichweite, so sie gewillt ist, ihren Körper zu bearbeiten, koinzidiert mit dem Mythos der eigenen Selbstverwirklichung und benötigt folglich nur noch Konsum von Schönheitsrealisierungsmitteln. Ironischerweise mündet die Demokratisierung der Körper in einem einzigen ästhetischen Bild: dem der Puppe Barbie; weiß, dünn, blond und so jung, frisch und sauber wie möglich. Am erfolgreichsten doubelt die „Klone der Schöpfung“ (Gächter 2000, S. 1) Britney Spears das Plastikmodell aus der Industrie, und indem sie je nach Situation in eine anderes Rollenmodell schlüpft, gestaltet sich Britney genau so flexibel und anstandsgemäß um, wie sich auch Barbie je nach Tageszeit und Art der Beschäftigung immer genau den bürgerlich braven Idealen anpasst, aus denen sie geschaffen wurde. Gänzlich aus Plastikhaut und Oberfläche bestehend, gibt es im Inneren des eigenen Körper nichts zu entdecken, sondern es gilt, diesen Körper im Äußeren selbst zu entwerfen. Hierbei gilt das neoliberale Credo der „Machbarkeit, Veränderbarkeit und Verfügbarkeit“ (Baldauf 2000, S. 50), welches auch Guido Westerwelle zum Fan von Britney werden läßt.
Jeder kann über Britney verfügen; der Preis ist ungefähr der gleiche wie der für eine Edition von Barbie. Und hinter beiden steckt ganz sicher nicht mehr, als das was sie uns sowieso zeigen. „Britney ist Sex-Fantasie und dufter Kumpel in einem, Pin-up und braves Mädchen, das man auch heiraten kann, später“ (Gächter 2000, S. 1). Nie wirkte ein weiblicher Star dominanter und gleichzeitig harmloser; der Grund liegt in der Abwesenheit von jeglichem Willen außer dem Willen, als Verkaufsgegenstand zu dienen. Der Superstar im Pop vereint den kulturellen Mainstream mit den Kassenschlagern der Marktwirtschaft: ein Cocktail aus DIN-3-D genormtem Sexappeal, bürgerlicher Verklemmtheit und Cola light; hochgradig ästhetisiert und dabei ohne jeden Charme.
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Was extrem ist, nehmen wir ins Programm, sagt das Fernsehen und präsentiert Sendungen, die unverwechselbar und doch allen ähnlich sind. Die Rezeption des Spielfilms „Full Metall Jackett“ auf SAT 1. |
Das System Fernsehen kommuniziert mit sich selbst; es geht mehr um einen Wettbewerb zwischen den Fernsehsendern als um eine Diskussion mit den Zuschauern. Zum Beispiel soll der Satz „Wir haben die Nase vorn gehabt“ oder „Wir sind die einzigen, die den Originalton haben“ für die Fernsehsender die bestmögliche Kommunikation/Ansprache an die Konsumenten verdeutlichen. Gleichzeitig will der Zuschauer aber von solchen Selbstzuschreibungen nichts wissen. „Die Entscheidungen, die im Fernsehen getroffen werden, sind gewissermaßen subjektlos“ und von daher trifft für das Fernsehen die Bezeichnung als „geschlossenes Milieu“ (Bourdieu 1998, S. 33) zu, das sich und seine Beteiligten selbst inszeniert und zensiert.
Nirgendwo wie im TV wird so deutlich, dass nicht der Träger der Inhalte (hier: der Spielfilm) zählt, sondern der Vertrieb und die Ideologie der Unternehmen, die den Film zeigen. Da der Gesamtstaat Fernsehen inhaltlich seine Zuschauer nicht braucht, sondern diese nur auf die Stufe von Quotenlieferanten reduziert werden, erzeugt jede Bewegung auf dem Bildschirm tendenziell eine „heimliche Langeweile“ (Schulze 1999, S. 97), welche die Kenntnisnahme eines Films auf ein „Ach wie erschreckend“ reduziert. Da vor oder nach dem Film jegliche Bezüge zu den Inhalten des Films ausgespart bleiben, können von den Zuschauern Zusammenhänge nicht hergestellt werden. Eine Meinung kann aufgrund des Mangels an Kontexten nicht gebildet werden; und wenn, dann ist diese Meinung so gefestigt, wie wenn man einen Alkoholiker fragt, welchen Stoff er am liebsten mag. Die Antwort wird lauten: Egal, Hauptsache irgendeinen. Wie es auch in der Ökonomie der Meinungen nicht auf die Qualität einer Meinung ankommt, sondern darauf, dass man eine Meinung hat. So stürzt man sich an einem Fernsehabend von einem „oh, wie erschreckend“ zu einem „ih, wie eklig“ zu einem „ach, wie leidenschaftlich“. Der Zusammenhanglosigkeit der Gefühle entspricht die willkürliche Anordnung des TV-Programms. Die Inhalte in den TV-Sendungen sind einer Ökonomie der Zeichen gewichen, die in Form egal welchen Sendetyps die Gefühle der Zuschauer kapitalisieren sollen. Alle Sendungen entsprechen der Ideologie der Werbung, auch wenn in ihnen gar keine Werbung vorkommt. Bei aller Vielfalt der „folkloristischen Ereignisse“ (Schulze 1999, S. 97), die das Fernsehen in immer extremerer Weise darbietet, und die eine Indifferenz über die Inhalte verheimlichen soll, scheint so das Angebot immer gleich.
Als Beispiel für die Belanglosigkeit der im Fernsehen gezeigten Inhalte kann hier der Film Full Metal Jacket, im November 2000 gezeigt auf SAT, genannt werden. Inhaltlich bezieht sich der Film auf die totalitäre Vereinnahmung des Individuums durch die Ideologie des herrschenden Systems, das im permanenten Einbrennen eines imaginären Feindbilds den Krieg ästhetisiert (was durch die Abwesenheit der tatsächlichen Brutalitäten des Krieges leicht fällt), und so das menschliche Gehirn immer weiter aufweicht. Nur in der diktatorischen, menschenunwürdigen Behandlung von einem der Rekruten (die für den Krieg ausgebildet werden) durch den Vorgesetzten, wird schon in der Theorie angedeutet, wo die Konsequenzen der kompletten Zuteilung von Macht an ein bestimmtes Regime liegen. Sich umzubringen ist besser als die Ideologie des Despoten umzusetzen.
In seiner Aussage zu den Auswirkungen von totalitären Umständen bedient sich der Film einem Milieu, in dem der Terror am offensichtlichsten erscheint. Jedoch geht die Dimension des Films über die Kritik an Krieg und Militär hinaus. Jegliche autoritären bis diktatorischen Situationen sind menschenunwürdig und berauben die Unterdrückten ihrer Freiheit, am aller ersten ihrer Gedanken- und Meinungsfreiheit. Insofern stellt der Film eine unmissverständliche Kritik am Fernsehen her, denn dieses arbeitet mit seiner Nivellierung der Inhalte gegen die Meinungsfreiheit. Die „Politik der demagogischen Vereinfachung“ ist genau das Gegenteil „der demokratischen Intention des Informierens oder einer Unterhaltung mit Bildungsanspruch“ (Bourdieu 1998b, S. 79).
Insofern wäre es paradox, von einem Sender wie SAT 1 eine dialektische Auseinandersetzung mit den von ihm lancierten Sendungen (die ja inzwischen als Formate bezeichnet werden) zu verlangen. Es ist klar, dass sich ein TV-Sender auf seine eigenen Neigungen und Perspektiven bezieht (nämlich auf die Politik der Vereinfachung), wenn es um die Erwartungen des Publikums gehen soll. Insofern unterscheiden sich TV-Sender nicht von den Wirtschaftsunternehmen anderer Branchen.
Wie ist es möglich, dass ein TV-Sender wie SAT 1, einen Film in seine beste Sendezeit (20.15 Uhr – 22.30 Uhr) aufnimmt, wo doch die Umsetzung der Idee des Films zur Auflösung von SAT 1 führen müsste? Der Grund dafür ist, dass es sich bei SAT 1 um ein Unternehmen handelt, welches nach dem kapitalistischem Prinzip funktioniert. „Die Wahrheit, dass sie (die Massenmedien) nichts sind als Geschäft, verwenden sie als Ideologie, die den Schund legitimieren soll, den sie vorsätzlich herstellen. Sie nennen sich selbst Industrien, und die publizierten Einkommensziffern ihrer Generaldirektoren schlagen den Zweifel an der gesellschaftlichen Notwendigkeit der Fertigprodukte nieder“ (Adorno/Horkheimer 1944, S. 129).
Jeder (auch der Zuschauer) weiß, dass es sich bei den privaten Fernsehanstalten nicht um Bildungstransporteure, sondern um Geldumsetzer handelt. Daher scheint klar, dass alle Inhalte gezeigt werden können, denn alles wird auf die Quotenbringerrolle reduziert. Die Ideologie von Full Metal Jacket auf SAT 1 entspricht also der Ideologie von SAT 1. Dies wird umso deutlicher, wenn man die Werbeunterbrechungen des Films beobachtet: Werbung für Erdbeermarmelade, für Schokolade, für Margarine. Na und?, kann man sagen, ist doch überall so. Genau, es ist überall und immer so; das Fernsehen kümmert sich nicht um die Inhalte, jedes Format kann als Lückenfüller zwischen der Werbung dienen. Und wenn Handgranaten erlaubt wären, und Handgranatenwerbung auch, dann liefe in den Werbepausen von Full Metal Jacket ohne Probleme Werbung für Handgranaten. So kann das Fernsehen alles zeigen, denn alles ist, wenn es im Fernsehen gezeigt wird, gleich. Jedem Zuschauer ist daher klar, dass er sich beim Fernsehen nicht bilden soll; der kritische Zuschauer ist nicht erwünscht. Wie sollte man Kritik an etwas üben, was (angeblich) die (imaginäre) Masse verlangt? Und schließlich sind die TV-Sender als Unternehmen auf die Zustimmung der Massen (die Quoten) angewiesen.
Beim Fernsehen wird offensichtlich, was auch in den anderen Bereichen der Ökonomie die Grundlage für Geschäftserfolg bildet: die Kooperation zwischen Zuschauer/Konsument und TV-Sender/Unternehmen. Der Konsument legitimiert die Handlungen der Unternehmen, indem er Verständnis dafür hat, dass es darum geht, Geld zu verdienen. Was dann letzten Endes konsumiert wird, ist zwar nicht wichtig; dennoch scheint es angenehmer, sich in einem Bad augenscheinlicher Differenz zu suhlen, als sich einzugestehen, dass jeglicher Konsum mit den Verhältnissen einverstanden ist, und daher die Dauerekstase mit Langeweile koinzidiert. Konsumenten kooperieren mit sich selbst: Da sie immer d’accord mit sich sein wollen, sind sie angewiesen auf Differenz. Damit sie weiter mit sich einverstanden bleiben. Am deutlichsten zeigt sich das „Heilprogramm der Überwachung“ im Internet: jeder kann so autonom sein und sich selbst sein eigenes Unterhaltungsmenü zusammenstellen, egal zu welcher Zeit und in welcher Form. „Wo Dunkelheit war, ist nun Licht; der Übergang in neue Abhängigkeit fühlt sich an wie Befreiung, wie ein „Herauskommen““ (Baumann 1997, S. 185).
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„Es gibt Themen genug in deinem eigenen Leben, und wenn sie einmal ausgehen, gibt es Themenläden.“ (Die Sterne: Themenläden, auf: Posen (CD) 1996) |
In seinem phantasievollen Akt erschafft der Künstler oder der Werbetexter Botschaften, bei denen er sich von einer imaginären Gruppe oder Szene ein größtmögliches Maß an Verständnis und Anschlussfähigkeit erwartet. Ob die jeweiligen zunächst leeren Aussagen in der Dekodierung durch die verschiedenen sozialen Instanzen (Individuen, Szenen, Konkurrenten) tatsächlich zu Botschaften werden, hängt von der Fähigkeit des Kreativen ab, die Bedeutung der Zeichen zu kennen.
Somit sind Trends nur Trends, wenn sie in der Gemeinschaft, in der sich das Individuum als Zeichenproduzent und -konsument integriert sieht, als Trends erkannt werden. Ist dies nicht der Fall, befindet man sich entweder in der falschen Community oder man kann sich die Zugehörigkeiten nicht leisten. Je nach der Brutalität der Gemeinschaft als Differenzkonsummaschine läuft man dann allerdings Gefahr von den anderen ausgeschlossen zu werden. „Das paradoxe Dogma des Millenniums lautet daher: Je individueller man wird, oder richtiger: Je mehr Mittel man hat, individuell zu werden, desto mehr gehört man auch dazu“ (Terkessidis 1999, S. 1).
Entsprechen Trends nun einem gelungenen Zeichenpotpourri aus verschiedenen Aspekten der Teilsysteme, wie Ökonomie, Technologie, Kultur, etc.? Kommt bei also letzten Endes in Form der Trends zusammen, was zusammengehört? Oder entspringen Trends einem Zufall, der dann einem Akt von Fatalismus als Schicksal gedeutet wird? Kommt es darauf an, in einer bestimmten Situation, Dinge aus unterschiedlichen Bereichen in einen Pseudokontext zu bringen?
Fest steht, dass Trends durch ihre vorbestimmte Haltbarkeitsdauer fatalistischen Tendenzen unterlegen sind. Ein Trend wäre kein Trend, wenn es nicht die Gewissheit gäbe, dass es - kurz oder lang – zu einem Gegentrend kommt bzw. ein derzeitig gültiger Trend irgendwann einmal langweilig wird, und auf dem Wühltisch des Kaufhof landet, wo er als Abfall für den Rest angeboten wird. Ein Trend wäre kein Trend, wenn er nicht Gegner hervorrufen würde, die sich gegen den Trend wehren.
Das Ziel von Produkten, Styles und ästhetischen Entwicklungen kann von daher nur sein, das Trendstadium zu überwinden, und im besten Fall zu Klassikern zu werden, denen gar keine Widerstände mehr anzumerken sind. Rama und Pampers jedenfalls können in jedem politischen System und in jeder sozialen Gemeinschaft überleben, weswegen sie nicht zum Stein des Anstoßes werden können. Verkauft werden sie dennoch, solange die von ihnen propagierte Homogenität der Verhältnisse bestehen bleibt und keine realistischen Gegenentwürfe gefordert sind.
Trends als kontextorientierte Assoziationsphänomene transportieren also trotz ihrer thematischen Beschränktheit als Bündelung vorhandener Erscheinungen in einen innovativen Bedeutungskontext eine neuartige Willensäußerung, die durch ihre bisherige Abwesenheit erst neu einzuordnen ist. Trends werden demnach notwendigerweise als politisch und subversiv gesehen, was gemeinhin als „Anecken“ bezeichnet wird, wodurch dann aber nichts mehr wirklich „anecken“ kann, da es schon kategorisiert wurde. Dies bringt wiederum die Gruppen und Individuen, die wirklich „anecken“ wollen, zum Toben, sowie die Trendgegner zum Plädieren gegen das „Aneckende“, wodurch sich das entstandene Trendpotential erst so richtig kapitalisiert. Die gesellschaftliche Relevanz eines Trends erkannt man schließlich daran, dass alle behaupten, bei dem Trend handele es sich eigentlich um gar keinen Trend, sondern um eine unspektakuläre Wiederaufnahme schon längst veralteter kultureller Zeichen.
Thematisch können Trends also auf keinen Fall wertlosen Phänomenen, wie Sportereignissen, politischen Entscheidungen oder Börsenabstürzen gleichstehen. Dennoch können aus diesen wertlosen Ereignissen relevante Themen entstehen, die in ihrer Struktur dann den Trends übereinstimmen (vgl. Liebl 2000d, S. 65), wenn mit ihnen Entwicklungen aus gesellschaftlichen Tendenzen koinzidieren, wenn das Entstandene also „interessant“ scheint.
Falls ein Trend als interessantes Thema durch einen Mangel an Beschäftigung mit ihm nur kurzfristige Erregung hervorruft, bleibt seine Wirkung auf ein kurzes und heftiges Dasein begrenzt, ähnlich der extremen Volatilität eines Junk-Bonds an der Börse. Willkürlich lancierte uns somit spekulative Assoziationen können folglich zwar für eine gewisse Zeit „in“ sein; um zu einem Trend zu werden, fehlt ihnen jedoch die Durchschlagskraft und Verknüpfung mit bereits Vorhandenem.
Trendanalyse und kontextorientierte Kultursemiotik unterliegen also ähnlichen Bedingungen: Beide beschäftigen sich mit Deutungsversuchen, die zum Ziel haben, aus bereits vorhandenen kulturellen, gesellschaftlichen, politischen und sozialen Hintergründen und Ressourcen in einem kreativen Akt der Verknüpfung, eine bereits geschehene Entwicklung nachzuvollziehen, und zukünftige Tendenzen zu erkennen. Als Frühwarnsysteme scheitern jedoch beide, wenn sie sich auf konkrete Vorhersagen fokussieren; dazu sind Ästhetiken und Werteströme als Eigendynamiken zu widerspenstig.
In der Fokussierung auf bestimmte, hoffentlich in der Zukunft eintretende Formen hat sich bisher die Trendforschung ins eigene Fleisch geschnitten: sobald ein Trend definiert und prophezeit wird, verliert er seine mögliche Kraft, er schwebt ohne Zusammenhang herum, weil er neu aufkommende Zusammenhänge ignoriert. In den ökonomischen Zusammenhang gestellt, beweisen sich Trends als Mittel zur Selbstzuschreibung der Marktwirtschaft als ein System, dem alle anderen Bereiche untergeordnet sind, wodurch eine kontextorientierte und objektive Analyse erschwert wird.
Insbesondere der gleichberechtigten Einbeziehung der Kultur als offenes und diskursives Feld kommt hier die avantgardistische Funktion des freien Gedankenspiels zu. Verweigert sich die Ökonomie dieser Erkenntnis, und halten die Ökonomen „Kultur für intellektuelles Filigran ohne wissenschaftlichen Wert“, „oder für etwas, dass seiner anders gelagerten Wertigkeit wegen nichts mit Ökonomie zu tun hat“ (Priddat 2000, S. 194), kapselt sich die Ökonomie selbst als geschlossene Disziplin ab, was eine Auseinandersetzung mit den anderen sozialen Bereichen unmöglich macht.
Die allgemeine Vorstellung, bei Kunst und Kapitalismus handele es sich um zwei gegensätzliche und grundsätzlich sich bekämpfende Bereiche, wird durch die derzeitigen Entwicklungen, vor allem der Welt des Jugendkonsums und der Marken widerlegt. Ganz im Gegenteil beweisen sich dabei die Skills, die ideologische Sphäre der Zeichen und Styles möglichst gut zu beherrschen, als Voraussetzung für bewussten und orientierten Konsum. Der Kapitalismus dient dabei als Spielwiese und als Bazar der Optionen, die aber erst durch die Umformierung durch die Konsumenten mittels der von ihnen adaptierten Kunstformen zu einer gewissen Berühmtheit und im ökonomisch optimalen Falle auf die Stufe der Legendenhaftigkeit gelangen, auf denen sich die Marken, - wie ehedem z.B. Adidas, Red Bull, Caterpillar oder heute z.B. FUBU oder Burton (vgl. Maher 2000, S. 16-22) - für eine mehr oder weniger endliche Zeit auf der Sonnenseite präsentieren dürfen.
Dabei dient die Warenhaftigkeit des Kapitalismus ihm als eine solide Basis, durch welche die Reflektion über die Zeichen erst einen Wert erhält, vergleichbar einem Rhythmus- und Soundteppich, der – maschinell und aus dem Drumcomputer erzeugt -, erst die notwendige Grundlage für die kreativen Anstürme des DJ liefert. Ideell gesehen bleibt dem Kapitalismus zunächst nur die leidige Rolle des Handwerkers und des Lieferanten, der zwar die Infrastruktur schafft und die materiellen Artikel des Lebens bereitstellt, der aber nie ein Stück von dem ideellen Ruhm erhält.
Der
ideelle Erfolg ist nur für die Virtuosen der Zeichendekodierung bestimmt,
also für die trendbewussten Konsumenten, die aber in ihrem Fandasein
gleichzeitig die Verehrung für die applizierten Marken darstellen. Letzten
Endes stellt sich auch ein ideeller Erfolg für die Marke selbst her, die es
mit ihrem Produkt geschafft hat, den geheimen Vorstellungen der Konsumenten
entgegenzukommen, und mittels einer hoffentlich nicht zu scharfen Prise
Pfeffer sogar noch heißer zu machen, als es der Markt eigentlich erlaubt. „Im
Idealfall sollte eine Ware die verschiedensten Erwartungshaltungen auf eine
Image hin vereinigen“ (Gurk 1996, S. 28). Dann entsprechen die
erfolgreichen Marken der ökonomischen Funktion von Superstars.
Dass die Marken sich inzwischen selbst auf die Produktion von Zeichen anstelle der Herstellung von Produkten verlagert haben, wäre zu kurz gedacht. Zwar haben sich inzwischen v.a. in der sogenannten New Economy Marken etabliert, die ihren Profit aus einer immateriellen Wertschöpfungskette beziehen (Lycos, Yahoo, etc.). Dennoch bleibt im Endeffekt der Erfolg dieser ideellen Produkte mit dem materiellen Erfolg - etwa der Werbepartner – verhaftet. Stellt sich heraus, dass diese mit Internetwerbung keinen Mehrabsatz verzeichnen, sind ideelle Investitionen die ersten, die gekürzt werden. Ob dies nun ökonomisch richtig oder falsch ist, sei dahingestellt.
In Wahrheit liegt der Erfolg von Marken in der westlichen Konsumwelt darin, zunächst die Waren zur Verfügung zu stellen und als quasi virtuellen Beipackzettel eine möglichst schillernde Extraganz an Dekodierungsoptionen beizufügen. So liegt die Tatsache, dass „Nike längst keine Sportschuhe mehr, Coca Cola kein Erfrischungsgetränk, Sony oder Ariola keine Musik-CDs und Gucci, H&M und Boss keine Oberbekleidung“ (Zielcke 2000) verkauft nicht an dem Einfallsreichtum despotischer Konzerne, die ihre symbolhaften Vorstellungen von ihren Marken an hörige Kunden veräußern.
Ganz im Gegenteil profitieren die Konzerne von dem Erfindungsreichtum der Konsumenten, so dass die mit den Marken in Verbindung gebrachten „Zugehörigkeitsgefühle und Lebensstile, sinnliche Attraktivität, expressive Zeichensprachen und Anschlüsse an die Jetztzeit“ (ebd.) erst von dem dafür in Frage kommenden Absatzpotential (Menschen, Stämme, Generationen) in einem Akt der Kreativität und der Kommunikation erschaffen werden.
Und wenn bei den Marken und Produkten oft deren vermeintliche Inauthentizität und der Schein als verwerflich genannt werden, muss man erkennen, dass es den Schein gar nicht gibt, bevor er nicht als solcher erkannt wird. Es liegt vielleicht an dem erhaben kreativen Gefühl des Dekodierungskünstlers, dass er den Schein der Waren erkennt, und sie dennoch kauft, weil sie ihm erst den Kreativschub und die Möglichkeit der Freiheit arrangiert haben. Es stellt sich also nicht die Frage nach „real“ und „fake“, „sondern es geht um die enorme Fähigkeit, die Unterschiede zwischen „gut gemacht“ und „schlecht“ herauszufinden“ (Wippermann 2000, S. 15). „Gerade unter Komplizen kann kultureller Schein echte Wirkung entfalten“ (Zielcke 2000).
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„Lässt
sich eine klare Unterscheidung treffen zwischen Populärkultur (subversiv,
kritisch, marginal) und Konsumkultur (dominant, affirmativ,
zentralistisch)? (Mayer 1996, S. 157) |
In ihrer Vision der Zukunft sowie der Reflektion über die Vergangenheit liegt der Gegenwartsrealismus der Kultur. Darin liegt auch der Grund der Flexibilität ihrer Standpunkte. Indem sie den Fakten aus dem Weg geht und feststehende Kategorien aus der Geschichte und der Zukunft hinterfragt, legt die Kultur Gestaltungsmöglichkeiten für das Jetzt dar. Da die Kulturschaffenden aus der Integration einer differenzierten Gesellschaft heraus arbeiten, setzen sie sich ständig einem Feuerwerk zwischen Dissidenz und Zusammenschluss aus. Kultur entspricht der Logik eines freien Meinungsäußerungsmarktes, solange für sie die Voraussetzung der thematischen Richtungslosigkeit gilt.
Was
den Bereich der Zeichen und Symboliken angeht, wäre die Marktwirtschaft gerne
ebenso interessant und konsequent wie die Kultur. Sie steht aber vor dem
Problem, dass die Warenwelt der Vielfalt der kulturellen Zeichen nicht
nachkommt, und sie dadurch im kulturellen Spannungsfeld eher die Rolle des
Partymuffels spielt, der zwar die Party sponsert, aber dennoch nicht tanzen
kann. So versuchen nicht wenige, das ökonomische Feld aufzupeppen, indem sie
das Business zum „Funky Business“ (Ridderstråle/Nordström 2000, Titel) deklarieren, das Paradigma der
kapitalistischen Waren- und Monetenwelt vollständig verwerfen, und zwecks
Mehrwert zur Welt der coolen Zeichen und Avantgarden wechseln. In die New
Economy umgesetzt, mündet der kulturelle Kapitalismus in flachen
Hierarchien, den Chef duzen dürfen, flexiblen Arbeits- und Freizeiten sowie
Tanzen auf After-Work Parties. Kultur bedeutet in diesem Sinne die Befolgung von
szenerelevanten Vorgaben, wodurch sich die neue kulturelle Ökonomie nicht von
anderen Megaszenen unterscheidet. Alle Anstrengungen werden auf die
Fetischisierung bestimmter Objekte und die an diesen Objekten abgeriebene
Selbstinszenierung gerichtet. Auf dieser Ebene haben sich kultureller
Kapitalismus und kapitalistische Kultur liiert. Und indem dieses System als
geschlossenes System funktioniert, ist es unfähig, das Außerhalb des Systems
objektiv zu betrachten und zu reflektieren.
Hier
kommt dann wieder die Kultur abseits kapitalistischer Intentionen ins Spiel, die
nichts dafür kann, dass bestimmte Streams und Trends in ihr
erkannt werden, und sogleich als Spektakel für die kapitalistische Waren- und
Kulturwelt fungieren dürfen. Während die Kultur erneut einen Kontext aus dem
Kontext herausfindet, saugt sich die Ökonomie daraus wieder einen Trend aus den
Fingern. Für die Kultur kann es also letztlich nicht darum gehen, die
Vermarktung zu leugnen oder ihr auszuweichen, sondern es muss darum gehen, ob
und wie diese Vermarktung selbst zum Thema gemacht wird!
Ich
als Individuum weiß, dass die kapitalistischen Zeichen lügen, trotzdem umgebe
ich mich mit ihnen. Weil ich weiß, dass die anderen Individuen um mich herum um
die Bedeutung der Zeichen wissen. Für den Umstand, dass die Zeichen nicht
authentisch sind, dafür kann ich Individuum nichts. Also: Nur mein Wille zählt;
dann trage ich Individuum eben den Willen hervor, theoretisch ein Zeichen setzen
zu wollen und schon wird das theoretische Zeichen tatsächlich zum Zeichen. Die
Botschaft einer Sache ist genauso echt und falsch wie die Sache selbst. Dann ist
es gleich ob die Jacke aus Plastik oder Leder, ob das Hemd von Lacoste richtig
oder von Lacoste falsch ist. Hauptsache, der Wille zum Zeichen ist erkennbar, für
mich und für die anderen.
Wenn
sich die Gesellschaft zu vielen spezifischen Gesellschaften entwickelt, und die
immer differenzierteren Mikrogesellschaften sich in dem individuellen
Selbstbestimmer auflösen, welcher Moral und welcher Ethik können dann noch
alle zustimmen, welches sind die verbindlichen Grundsätze, die unveränderbar
sind? Gibt es eine Solidarität als gesellschaftliche Ordnung jenseits des
Staats im Staat in der ersten Person (Jochen Distelmeyer, in: Blumfeld:
Ich-Maschine (CD), 1992)?
Angesichts
der performativen Ausrichtung dieser Arbeit greift meines Erachtens die
Strategie, Kultur und Marktwirtschaft in einen explizit
politisch-gesellschaftlichen Diskurs einzubinden, entschieden zu kurz. Zum einen
wird den symbolisch-kulturellen Spannungsfeldern die Aufgabe zugeschoben,
Wertestrukturen zu etablieren, die die Gesellschaft selbst nicht länger zu
diskutieren vermag, zum anderen muss diese Deutung darin enden, dass
Unternehmen, Kulturschaffende und Zeichendesigner nur noch unter dem
Gesichtspunkt ihrer politischen Korrektheit und Aussagekraft betrachtet werden.
Allerdings sind weder der Kapitalismus noch die Kultur für die aktuellen
gesellschaftlichen Missstände und krisenhaften Erscheinungen verantwortlich.
Die kulturellen Zeichen bringen die Eskalationen nur zur Sprache; sie verleihen
der Krise Ausdruck.